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Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Don Winslow
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Gepäck auf dem Rücken in das Kampfgebiet gesprungen, hatte 65 Kilometer im Laufschritt zurückgelegt und die Zielpersonen dann aus einer Entfernung von 1000 Metern getötet. Meistens aber hatte er aus nächster Nähe schießen müssen, so dass er seinem Opfer in die Augen sehen und dessen Angst riechen konnte.
    Nach dem Irak kam Mogadischu, »Operation Gothic Serpent«. Ein Alptraum wurde wahr, als die Somalis zwei UH-60-Hubschrauber abschossen und sich der schnelle Überfall von maximal einer Stunde zu einem Belagerungszustand auswuchs, der die ganze Nacht anhielt, ein tausendköpfiger Mob bedrohte sie. Sechs Brüder verlor Dave allein an diesem Tag.
    Dann kamen Haiti, Peru, Kolumbien und ein halbes Dutzend anderer Krisenherde in der dritten Welt.
    Anschließend ließ sich Dave vom aktiven Dienst freistellen und holte am Army War College seinen Abschluss nach, eine Laufbahn im Pentagon war geplant. Eines Morgens stand er auf, fuhr den Laptop hoch und sah die Türme einstürzen.
    Er wird nie vergessen, wie sich Diana hinter ihn stellte, ihm die Hände auf die Schultern legte und – ohne dass er gefragt hätte – sagte: »Natürlich musst du hin. Du würdest es dir sonst nie verzeihen.«
    Also ging er wieder zur Delta Force, zurück »an die Front«, fuhr nach Kandahar und anschließend nach Tora-Bora – in gewisser Hinsicht Daves schlimmster Alptraum. Mit seinem Geschwader tötete er massenweise Mudschahedin – ihre Leichen kehren regelmäßig in seinen Träumen wieder –, aber die Mission scheiterte schließlich, weil Bin Laden entkam.
    Dann zwei Einsätze im Irak mit der Task Force 145, und er war fertig. Nahm seinen Abschied, verließ den aktiven Dienst, ließ das Töten hinter sich. Eines Abends saß er mit Diana vor dem Fernseher, es lief ein Bericht über die Militäraktion, bei der OBL erschossen wurde, und sie fragte ihn leise: »Tut’s dir leid, dass du nicht dabei warst?«
    »Nein«, erwiderte er wahrheitsgemäß. Er war ziemlich sicher, dass er einige der Männer kannte, die ihn schließlich erwischt hatten. Aber nein, er bedauerte nicht, nicht dabei gewesen zu sein.
    Dave Collins bedauert nichts.
    Er hat Feinde seines Landes getötet. Feinde, die es, wie er glaubte, verdient hatten, getötet zu werden.
    Der Wecker jault immer noch.
    Diana hat ihn auf 4.45 Uhr gestellt, und jetzt ignoriert sie ihn.
    Pünktlichkeit gehört nicht zu Dianas zahlreichen Vorzügen. Dave erzählt den gemeinsamen Freunden gerne, dass seine Frau, bevor sie zusammenkamen, nicht wusste, dass eine Kinoleinwand weiß ist. »Und dann werden da auch noch Trailer gezeigt?«, wundert sich Diana. »Wer hätte das gedacht?«
    Er geht ins Schlafzimmer, und natürlich liegt sie noch gemütlich unter der Decke, stellt sich schlafend. Er legt sich neben sie, spürt die Wärme ihres Körpers, riecht den Duft ihres kastanienbraunen Haars. Zwanzig Jahre sind sie nun schon verheiratet, und er genießt es immer noch, in ihrem Duft zu schwelgen, in ihrer Berührung. Aber Sie muss zum Flughafen, deshalb schüttelt er sie sanft an der Schulter.
    »Aufstehen«, sagt er.
    »Neeeeiiiin«, stöhnt Diana. Sie hat nicht geschlafen – sein Traum hatte auch sie geweckt. Jahrelang hatte sie die Angst gequält, dass er nicht nach Hause kommen würde. Jetzt ist er endlich zu Hause, und nun lebt sie mit seinen Angstträumen.
    Alpträume kennen keinen Ruhestand, denkt sie, und du auch nicht.
    »Dein Flug geht um Viertel nach acht«, sagt Dave.
    »Noch genug Zeit.«
    »Berufsverkehr, du musst parken, einchecken, durch die Sicherheitskontrolle …«
    »Noch fünf Minuten«, bettelt sie.
    »Diana …«
    »Nur noch fünf Minuten«, wiederholt sie und reibt ihren Hintern anzüglich an seinem Schritt.
    Sofort spürt sie seine Reaktion und sagt: »Okay, vielleicht sogar zehn.«
    Erst dreiundzwanzig Minuten später verlassen sie das Bett.
    Jetzt haben sie’s eilig.
    Dave öffnet Jakes Zimmertür und betrachtet seinen neunjährigen schlafenden Sohn – er hat das Kissen gegen das Kopfteil des Bettes geschoben, auf das ein Cockpit gemalt ist.
    Jake kennt nur zwei Geschwindigkeiten – Überschall und Stillstand. Vierzehn Stunden am Tag ist Jake ein typischer hyperaktiver Junge, dann schläft er plötzlich ein und ist weg, Punkt, aus. Dave hat Jake unzählige Male geschultert und ins Bett getragen, ohne dass er dabei aufgewacht ist.
    Kinder werden so schnell erwachsen, denkt Dave, und ich habe schon so viel verpasst.
    Er hatte sich große Mühe gegeben, trotz seiner
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