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Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Don Winslow
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Collins!«
    Die Stimme kommt aus dem Dickicht weiter unten.
    Dave erkennt sie.
    Dana Wendelin.
    »Sie sehen vielleicht scheiße aus …«, sagt Wendelin.
    Dave sieht zu, wie die roten Barette der Kopassus, der indonesischen Spezialeinheiten, Michel auf einen Truck helfen. Die anderen reichen Wasser, Energy Gel und Proteinriegel herum.
    »Die Kopas hassen diese Dschihadisten-Schweine«, sagt Wendelin. »Aber offiziell sind sie natürlich nicht hier. Ich auch nicht.«
    »Wie zum Teufel haben Sie uns gefunden?«, fragt Dave.
    »Wir haben Sie nicht mehr aus den Augen gelassen, seit ich Sie in Barcelona auf freien Fuß gesetzt habe«, sagt Wendelin. »Ich habe mich drauf verlassen, dass Sie machen, was mir meine Regierung nicht erlaubt. Und so war’s. Sie haben ganze Arbeit geleistet. Aber einen Orden bekommen Sie trotzdem nicht.«
    »Ich hab’s nicht für einen Orden getan.«
    »Ich weiß«, sagt Wendelin. »Was werden Sie jetzt machen?«
    Dave zuckt mit den Schultern.
    Er hat keine Ahnung.
    Er hat keinen Job, zu dem er zurückkehren könnte.
    Kein Zuhause.
    Er weiß nicht, was das Leben für ihn bereithält.
    »Wir verziehen uns lieber, bevor die reguläre indonesische Armee eintrifft«, sagt Wendelin. »Damit ersparen wir uns eine Menge peinlicher Erklärungen in der Pennsylvania Avenue. Ihnen ist aber bewusst, dass nichts von alldem hier je passiert ist.«
    »Absolut.«
    Wie so viele ihrer Kämpfe, wird auch die »Schlacht von Tenkereng« zur stillen Erinnerung in den Köpfen derer werden, die dabei waren.
    Niemals dürfen sie darüber sprechen, aber loslassen wird sie keinen von ihnen.
    »Los, wir bringen euch nach Hause«, sagt Wendelin.
    Klingt gut, denkt Dave.
    Aber wo ist zu Hause?


    Die Oktoberluft ist kühl.
    Dana Wendelin und Mike Donovan stehen im Red Hook Park, wo die Gedenkfeier für die Opfer von Flug 211 stattfand. Miriam Birnam steht auf einen Stock gestützt bei ihnen – die Ärzte haben ihr versichert, dass sie in nur wenigen Wochen ohne Gehhilfe auskommen wird.
    Ulrich, Willem, Michel und Lev stehen in einer Gruppe beieinander. Sie tragen Zivilkleidung – gute Anzüge, ordentlich gebundene Krawatten –, jeder hält ein Andenken in Händen. Ulrich Rolfs Osprey Pin von den Selous Scouts, Willem Alessandros Tapferkeitsmedaille und Michel Codys rotes Barett. Lev hält Amirs grünes Stirnband der Al Qassam in Händen und ist bereit, sich mit jedem anzulegen, der daran etwas auszusetzen hat.
    Sie alle halten respektvoll Abstand, als Elaine Hauser nähertritt und Daves Hände in ihre nimmt.
    Elaine Hauser, denkt Dave.
    Die Frau, die als Erste bei der Versammlung der Angehörigen einen Scheck ausschrieb.
    Jetzt kommt es ihm vor, als sei das Jahre her, nicht erst Monate.
    Sie ist gealtert.
    Aber wer ist das nicht?
    Ihre Hände zittern leicht – wegen der Kälte? Der Emotionen? –, als sie sagt: »Danke, dass Sie für Gerechtigkeit gesorgt haben.«
    Dave nickt, fürchtet, bei dem Versuch zu sprechen keinenTon herauszubekommen. Stattdessen legt er seine Arme um sie.
    »Danke«, sagt sie noch einmal. Dann geht sie.
    Eine einsame Witwe.
    Dave sieht ihr nach, anschließend öffnet er die kleinen Käfige zu seinen Füßen und lässt die erste weiße Taube frei. Für Rolf.
    Dann eine für Alessandro.
    Eine für Cody.
    Und eine für Amir.
    Mit flatternden Flügeln brechen die Vögel in die Freiheit des blauen Himmels auf. Ein paar Augenblicke lang kreisen sie wild umher, dann scheinen sie eine gemeinsame Richtung gefunden zu haben und fliegen davon.
    Dave dreht sich zu Donovan um.
    Er nickt und lächelt.
    Für abwesende Freunde.
    Dann greift Dave erneut in die Käfige und richtet sich wieder auf, in jedem Arm einen Vogel. Einen Moment hält er sie an seine Brust gedrückt, dann hebt er die Arme und lässt sie ebenfalls frei.
    Jake.
    Diana.
    Sie fliegen zusammen.
    Heimwehkranke Engel.
    Dave sieht ihnen sehr lange nach, bis sie immer kleiner werden und schließlich hinter schmalen weißen Wolkenfetzen verschwinden.


    Der Schnee fällt sanft.
    Setzt sich auf Dianas Haar und zerschmilzt zu glänzenden Kristallen.
    Sie lächelt Dave an, dann nimmt sie eine Handvoll Schnee und packt sie auf die Burg, die Jake grimmig konzentriert baut.
    Es ist kalt in Montana, aber Dave spürt die Kälte nicht, während er seiner Frau und seinem Sohn zusieht. Er spürt nur die Sonne, wenn auch schwach und weit entfernt.
    » Dad, komm und hilf uns! «, schreit Jake.
    Dave bückt sich und rollt einen Schneeball. Als er sich
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