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Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Don Winslow
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war dünn – als hätte er sich ausschließlich von Notrationen ernährt. Aber vor allem war er gereizt.
    Sie lackierte sich die Nägel, machte sich fertig, weil sie essen gehen wollten, und im Fernsehen lief irgendwas Blödes – American Idol oder so –, hauptsächlich, um die Stille zu füllen, denn Dave war nicht gerade gesprächig. Plötzlich explodierte er, ging hoch vor Wut: »Wieso guckst du dir diesen bescheuerten Scheiß an? Hast du sie noch alle? Weißt du nicht, dass da drüben Männer sterben?!«
    »Das weiß ich«, erwiderte sie ruhig. »Ihre Witwen weinen sich in meinen Armen die Augen aus.«
    Er setzte sich aufs Bett, vergrub das Gesicht in den Händen.
    Sie setzte sich neben ihn. »Erzähl’s mir.«
    Er schüttelte den Kopf. »Wenn ich’s dir erzähle, wirst du mich hassen.«
    »Ich kann dich gar nicht hassen.« Ihr mit allen Wassern gewaschener, ultra-alpha-männlicher Ehemann war den Tränen nahe.
    »Du wirst mich verlassen«, sagte er.
    Sie schob sein Kinn höher, so dass er sie ansehen musste. »David, ich verlasse dich, wenn du’s mir nicht erzählst.«
    Er redete drei Stunden. Er erzählte ihr so viel er konnte, und als er fertig war, küsste sie ihn und sagte, dass sie ihn liebe. Zum Essen schafften sie es nicht mehr, stattdessen zeugten sie Jake.
    Das Leben als Ehefrau eines Delta-Force-Operators blieb schwierig – die langen Abwesenheiten, die Unsicherheit, niemals zu wissen, wo er war oder ob er wieder zurückkommen würde. Selbst wenn er zu Hause war, durfte er nicht darüber reden, was er machte oder wie er seine Zeit verbrachte. Die Frau eines Polizisten oder eines Feuerwehrmanns wusste wenigstens, wo sich ihr Mann tagsüber aufhielt.
    Und wenn er zu Hause war, sah er ständig auf die Uhr, und dann wusste sie, dass er ausrechnete, wie spät es im Irak war und ob seine Freunde gerade zum Einsatz geschickt wurden.
    Wenn das Telefon klingelte, erschrak er, und sie wusste, dass er Angst hatte, es könnte einer von diesen Anrufen sein – die Mitteilung, dass wieder ein Freund gefallen war.
    Sie kannte das Gefühl – wenn er bei einem Einsatz war, zuckte auch sie bei jedem Klingeln zusammen.
    Dann war da die Isolation, die die Geheimhaltung mit sich brachte – den Nachbarn erzählten sie, er sei als Sicherheitsberater für eine internationale Bank tätig. Immer bei der »Alibigeschichte« zu bleiben, wie Dave es nannte, fiel ihr nicht schwer, weil sie häufig umzogen und sich nie mit anderen Paaren anfreundeten – Letzteres machte ihr allerdings zu schaffen.
    Selbst als Dave den aktiven Dienst verließ, um am Army War College seinen Master zu machen, redeten sie mit den anderen Offiziersehepaaren nie über seine eigentliche Arbeit.Es verstand sich von selbst, dass darüber nicht gesprochen wurde.
    Einmal besuchte sie mit ihm das Weiße Haus, wo ihm der Präsident der Vereinigten Staaten in einem Hinterzimmer einen Orden an die Brust heftete und sich bei ihm und auch bei Diana bedankte. Dann wurde ihm der Orden wieder abgenommen und an einem sicheren Ort weggeschlossen, und sie wurden zu einer Hintertür hinausgeleitet. Dave erzählte ihr nie, wofür er die Auszeichnung bekommen hatte, und sie fragte nicht danach. Sie hütete sich davor, und stolz war sie ja sowieso auf ihn.
    Das gehörte nun mal dazu, wenn man die Frau eines Special-Operators war. Es war Teil des Deals, auf den sie sich eingelassen hatte und auf den sie sich jederzeit erneut einlassen würde.
    Aber sie war froh und erleichtert gewesen, als er sich vor inzwischen fast vier Jahren von der Army verabschiedet und von einem seiner alten Delta-Force-Kommandanten einen Job in der Sicherheitsüberwachung bei Eagle Airlines angeboten bekommen hatte. Sie kauften das Haus, und sie promovierte fertig. Dave arbeitete sich schon bald an die Spitze, und vor etwas über einem Jahr nahm er das Angebot als FSO am Kennedy-Airport an.
    Ein gutaussehender Mann, mein Mann, denkt Diana jetzt, und ihr fällt auf, dass sich an den Schläfen seines sandfarbenen Haars schon ein paar silbrige Streifen eingeschlichen haben. Lässt ihn noch distinguierter wirken, findet sie, seine graublauen Augen werden dadurch betont, und das Grobe der gebrochenen Nase, ein Souvenir aus dem Nahkampftraining im »House of Horrors« der Delta Force, wird ein bisschen relativiert.
    Jetzt steht Dave einfach nur da und sieht sie an.
    »Ja?«, fragt sie.
    Manchmal merkt sie, dass er sie einfach nur ansieht, was ihr gut gefällt, besonders wenn er dazu noch
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