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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung
Autoren: Tanja Kinkel
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von ihr gewohnt war, stand sie: Calori, Bellino, und heute Abend Agrippina, jeder Zoll eine Kaiserin.
    Bettina hatte ihm eine erste Ahnung von den Wundern des Eros gegeben. Die Schwestern Nannetta und Martina hatten ihn gelehrt, wie man eine Frau verwöhnte, und er war ihnen ungeheuer dankbar dafür, genau wie Donna Lukrezia und ihrer Schwester Rosanna. Aber was es bedeutete, eine Frau zu lieben, die durch all ihre Verkleidungen hindurch ausschließlich sie selbst war, darauf bestand, so zu sein, nicht, wie ein Mann sie sehen wollte, das hatte er erst durch Angiola Calori erfahren, und er sog ihren Anblick in sich ein wie den Atem zum Leben.
    Caffarelli schlug Kadenz nach Kadenz an, doch anders als manche Sänger versuchte Calori erst gar nicht, während seines Vortrags von ihm abzulenken, indem sie mit dem Publikum kokettierte. Stattdessen schaute sie auf ihren Bühnensohn mit der Mischung aus Zuneigung und Gereiztheit, die Giacomo in ihrem Blick sah, wenn sie ihre kleinen Schwestern und Petronio betrachtete, und das Publikum, das gewohnt war, von neuen Sängern sofort umworben zu werden, war ob ihrer Stille und Reglosigkeit verwundert und betrachtete sie neugierig. Falls sie nervös war, so zeigte sie es nicht. Ein solches Gefühl mochte in Angiola Calori schlummern, aber es lag Agrippina fern.
    Morgen würde Giacomo Neapel verlassen und sich nach Korfu einschiffen. Von dort sollte ihn sein Weg nach Konstantinopel führen. Für wie lange, wusste er nicht. Er war gespannt darauf, herauszufinden, was das Leben noch für ihn bereithielt. Aber heute Abend, hier und jetzt, hätte er an keinem anderen Ort sein mögen. Caffarelli endete, und da wandte Calori zum ersten Mal den Blick von ihrem Nero ab, ließ ihn über das Publikum schweifen und endete im Orchester. Giacomo hob seine Geige ein wenig höher, und sie lächelte, ein Lächeln, das ihres war, nicht Agrippinas, zart wie ein Kuss. Er lächelte zurück und wartete auf den Einsatz, den Moment, da der Klang seines Instrumentes sich mit ihrer Stimme vereinigen würde. Logroscino hob den Arm, und Calori, den Arm ausgestreckt und mit einer geöffneten Hand, die bereit war, die Welt zu ergreifen, begann zu singen.

Nachwort
    K ein anderer Autor hat für einen Menschen dermaßen unglaubliche Situationen erfunden, wie Giacomo Casanova sie erlebt und aufgeschrieben hat. Kaum ein anderer uns bekannter Lebenslauf umfasst auch nur annähernd so viele Rollen wie der dieses Mannes: Abbate, Arzt, Anwalt, Diplomat, Offizier, Astronom, Alchemist, Schatzsucher, Übersetzer, Philosoph, Spion, Librettist, Gründer der französischen Staatslotterie, Börsenhändler, Autobiograph, Bibliothekar und natürlich Sträfling und erfolgreicher Flüchtling aus den Bleikammern Venedigs. Er ist heute, neben Marco Polo, wohl der bekannteste Venezianer der Welt und einer der wenigen nicht religiösen Figuren, deren bloßer Namen international den meisten Menschen bekannt ist. Dabei wird er von Biographen unermüdlich neu gedeutet; vom konservativen Traditionalisten bis zum mutigen Protofeministen ist ihm allein in Sachbiographien alles nur Erdenkliche nachgesagt worden, und in fiktiven Bearbeitungen schillert er nicht weniger in allen Farben, je nachdem, was den betreffenden Autor an ihm am meisten interessiert.

    Wenn schon Casanova umstritten ist, so gilt das für die Charakterisierung der Frauen in seinem Leben umso mehr. Er machte es den Biographen nicht leichter, indem er vielen, die zu der Zeit, als er seine Memoiren verfasste, noch am Leben waren, andere Namen gab. Die Sängerin, die er als Kastraten Bellino kennenlernte, nannte er Teresa Lanti, was dazu führte, dass Biographen lange Zeit darüber stritten, ob es sie überhaupt gegeben oder ob Casanova sie erfunden hatte, da sich keine international erfolgreiche Sopranistin dieses Namens identifizieren ließ. Als Forschern endlich das Originalmanuskript der Histoire de ma Vie zugänglich wurde, entdeckten Dr. Arthur Hübscher und seine Frau zweimal die durchgestrichenen Buchstaben »Cal…« und »Ca…«, ehe Casanova stattdessen »Teresa« schreibt, und in einer vollständig gestrichenen Passage über seine letzte Begegnung mit ihr in Prag 1766 endlich den vollen Namen »Angiola Calori«.

    Angiola Calori war eine der europaweit erfolgreichsten Sängerinnen des Rokoko, und das über eine ungewöhnlich lange Zeit. Sie war eine Sopranistin mit einem immensen Tonumfang, der man außerdem große Darstellungsfähigkeiten nachsagte. Leider
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