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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung
Autoren: Tanja Kinkel
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erzählte ihm von Don Sancho, und er fühlte sich nur ein wenig gekränkt, dass Don Sancho ihn offenbar nicht für geeignet gehalten hatte, sich als Spion ein Zugeld zu verdienen, im Gegensatz zu den Österreichern. »So, wie die Contessa bei dem Empfang gesagt hat, dass die Österreicher uns allen die Kehlen durchschneiden sollen, war das nicht nur ein frommer Wunsch. Ich glaube, sie erwartet, dass Neapel bald wieder an die Habsburger fällt, und es sollte mich nicht wundern, wenn ihre Gastgeber hier dafür bereits planen.«
    »Da könntest du recht haben«, gab er zurück und erzählte ihr von seinen eigenen Gesprächen mit der Contessa zu diesem Thema.
    »Was glaubst du, wie lange sie noch nach Belieben durch die Gegend reisen wird, wenn ich Don Sancho das schreibe?«, fragte Calori, und es war nichts Weiches in ihrem Gesicht. So mussten die römischen Kaiserinnen ausgesehen haben, wenn sie die Daumen in der Arena senkten.
    »Du nimmst es wirklich persönlich, fast umgebracht worden zu sein«, sagte er, denn so konnte er verbergen, wie groß seine eigene Furcht um sie gewesen war. Die Vorstellung, was hätte geschehen können, wenn er nicht seinen Stolz überwunden und sie an diesem Abend noch einmal aufgesucht hätte, drehte ihm noch im Nachhinein den Magen um.
    »Maria ist tot«, sagte sie leidenschaftlich. »Ich glaube noch nicht einmal, dass die Contessa das weiß oder einen entsprechenden Befehl dafür gegeben hat. Sie war im Weg, und nun ist sie tot, und es kümmert niemanden in diesem Palast, weil sie nur eine Zofe war. Genauso wenig, wie es je einen kümmerte, wenn die Contessa sie schlug oder ihr anderweitig das Leben zur Hölle machte. Don Sancho, glaube ich, ist ein guter Mann, so gut, wie es ein Mann, der Armeen versorgt und Kriege zu lenken versucht, eben sein kann, aber wenn ich ihm schreibe, dass meine Zofe tot ist, wird er trotzdem nicht mehr tun, als bestenfalls ein bedauerndes Wort zurücksenden. Doch wenn ich ihm schreibe, dass die Contessa im Zentrum einer Verschwörung des alten Adels von Neapel steht, die die Österreicher in die Stadt holen wollen, um die Spanier loszuwerden, dann wird er dafür sorgen, dass sie Pesaro nie wieder verlässt. Da bin ich mir sicher.«
    Ihre Erbitterung darüber, dass die Welt voller Ungerechtigkeit steckte, war ihm fremd. Er schätzte es natürlich ebenso wenig, seit seiner Geburt benachteiligt zu werden, aber seine Lösung dieses Problemes war, zu versuchen, die Menschen zu überzeugen, einer der ihren zu sein. Nicht auf der Bühne, wo in dem Moment, in dem die Vorstellung zu Ende war, die Herablassung der restlichen Welt wieder begann, sondern im Leben.Deswegen hatte er sich auch immer gegen die Vorstellung gesträubt, es seiner Mutter gleichzutun und dem Theater anzugehören. Auch deswegen hatte er sich geschworen, nie Gaetano Casanova nachzueifern, dem Mann, in dem er noch immer seinen wahren Vater sah. Und daher war ein Leben an der Seite von Angiola Calori für ihn unmöglich.
    Aber nun, da er sie um ein Haar für immer verloren hätte, wollte er wenigstens einmal, ein einziges Mal, die Welt, die sie sich gewählt hatte, die Welt seiner Kindheit, vor der er immer geflüchtet war, mit ihr teilen. Also hatte er den jüngsten Zuschuss des Abbate Grimani genutzt, um Logroscino zu bestechen und sich einen Platz als Geigenspieler im Orchester des Teatro von San Carlo für die Premiere zu kaufen.
    »Aber … können Sie denn überhaupt Geige spielen?«
    »Ich kann alles, was ich wirklich können will. Außerdem hat mein Vater es mich gelehrt, wenn Sie die Wahrheit wissen wollen.«
    Es war viele Jahre her, und er merkte bei den Proben, wie ungeübt seine Finger waren und warum er wirklich nicht den Wunsch hatte, Musiker zu werden. Aber dennoch war es die Sache wert. Wert, weil er nun unter den anderen Musikern saß und spürte, wie das Lärmen des Publikums leiser wurde, ohne völlig zu ersterben, als ihr Spiel begann; wert, weil auf einmal eine Woge des Schweigens die Menge erfasste. Dort, auf der Bühne, stand prächtig gewandet wie ein Pfau Caffarelli, der sich nur einmal herabgelassen hatte, zu den Proben zu kommen, aber auch nicht versucht hatte, Calori zu schaden. Jetzt schritt er um sie herum, denn er spielte Nero, den römischen Kaiser, der natürlich die erste Arie hatte, auch wenn die Oper den Namen von dessen Mutter trug. Und dort, gleichzeitig fremd und vertraut in ihrem Kleid aus pfirsichfarbener Seide und dem hochgesteckten Haar, länger, als er es
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