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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung
Autoren: Tanja Kinkel
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wie möglich.
    Seine Stimme war anders als die jedes Kastraten, den sie bisher gehört hatte; sie hatte manchmal sogar etwas Hartes, Klirrendes in sich, aber nichts davon klang falsch. Es war, als warf er der Welt sein Herz vor, samt aller finsteren, selbstsüchtigen Motive, und rief dazu: Ob es euch gefällt oder nicht, ist mir gleich. Sein Volumen war so groß, dass sie an einer Stelle fürchtete, seine Stimme müsse brechen, doch nichts dergleichen geschah.
    Es würde noch geschehen, wenn Melani recht hatte, der sie zwar immer gefordert, aber auch gewarnt hatte, ihre Stimmbänder nicht zu sehr zu überdehnen. Manche Sänger, sagte er oft, endeten dann heiser und für immer ihrer Lebensbasis beraubt. Sei vorsichtig.
    Aber wenn dieses Schicksal auf Caffarelli wartete, lag es noch in weiter Ferne. Hier und heute war er genauso eindrucksvoll, wie nur ein Mensch sein konnte, und sie musste all ihre Erfahrung in Duetten mit Appianino geben, um mit ihm Schritt zu halten. Anschließend musterte er sie erneut, und seine üppigen Lippen waren fest aufeinandergepresst. Schließlich stieß er einen Seufzer aus.
    »Schön«, sagte er. »Schön. Aber Sie singen nur Harmonie, ich die Leitstimme.«

    Der Empfang war noch im vollen Gang, als Calori ihn verließ. Sie war in einer eigenartigen Stimmung. Mit Caffarelli zu singen war ein überwältigendes Erlebnis gewesen und ein glückliches Omen für ihren kommenden Opernauftritt. Sie hatten natürlich weitere Zugaben singen müssen, doch sie hatte darauf geachtet, dass Caffarelli weit mehr davon übernahm. So hatte sie auch seine Art zu singen studieren können und beobachtet, dass er nicht nur in die Haut seiner Rolle schlüpfte und sich als Held fühlte, sondern auch die Zuhörer dazu bringen konnte, jede Sekunde seine Empfindungen zu teilen. Selbst wenn es ihr letzter Auftritt mit ihm gewesen sein sollte, es hatte sich gelohnt. Sie wusste nun, was sie noch brauchte. Unter den Anwesenden war auch Logroscino, und seine freundliche Gratulation war aufrichtig gewesen. Die Mehrzahl der Damen und Herren hatte zwar Caffarelli umschwärmt, aber wenn sie den Salon nicht verlassen hätte, dann wäre auch sie jetzt noch damit beschäftigt, Glückwünsche entgegenzunehmen.
    Aber Giacomo hatte sie nicht gehört. Er war nicht geblieben, um sie zu hören. Stattdessen hatte er sich mit den Worten verabschiedet, wenn dies ihre Art sei, Freundschaft zu zeigen, zöge er ihren Hass vor. Das tat weh. »Was hast du erwartet?«, hatte Petronio gefragt. »Der Mann kommt deinetwegen nach Neapel, und du bezeichnest ihn als Gerümpel. Versteh mich bitte nicht falsch, ich denke, es war das Richtige, weil ich nämlich glaube, er ist auch gekommen, um zu erfahren, ob er auf dein Geld zurückgreifen kann, wenn du Erfolg hast. Oder vielleicht ist er so aufrichtig vernarrt, dass er dich überzeugen will, die Bühne aufzugeben. Auf jeden Fall ist es gut, ihm endgültig die Tür zu weisen. Aber wenn du das nicht wolltest, dann hättest du dich milder ausdrücken sollen, Contessa hin oder her. Er hatte mich schließlich erkannt, als ich den Brief bei ihr abgab.«
    Wenn Männer sich nicht in Eifersüchteleien ergingen, hielten sie zusammen, wenn man es am wenigsten erwartete, und das war gerade alles andere als tröstend. Die Vorstellung, dass Giacomo sie nun hasste, traf sie tief. Hatten sie einander nicht versprochen, Freunde zu bleiben?
    Einen Freund hinter der Contessa eintreten zu sehen, hätte sie zwar verwundert, aber sie hätte auf eine Erklärung gewartet, statt sofort das Schlimmste anzunehmen. Diese Möglichkeit hatte sie ihm nicht gewährt. Am Ende hatte sie sich auch nur etwas vorgemacht. Liebende konnten keine Freunde werden, wenn sie nicht mehr ein Paar waren. In das Glück über den gelungenen Auftritt und den Umstand, dass sie erfolgreich vermieden hatte, den Hass Caffarellis zu erregen, mischten sich schnell Schuldbewusstsein, Zorn und Enttäuschung. Er hatte sie nicht gehört. Sie hatte um ihr neues Leben als Frau gesungen, für das er verantwortlich war, doch er hatte sie nicht gehört.
    Petronio war noch immer auf der Gesellschaft; als sie ihn zuletzt sah, war er in ein Gespräch mit einem reichen Gast verwickelt gewesen, das man besser nicht unterbrach. Sie hatte ihm nur vom anderen Ende des Raumes aus gewunken, ehe sie gegangen war. Wenn sie erst eine Wohnung hier in Neapel gefunden hatten, würde sie versuchen, Engagements für Petronio als Tänzer auf den Komödienbühnen zu finden, aber
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