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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung
Autoren: Tanja Kinkel
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Absicht, einander zu Fall zu bringen, halb in der Absicht, einander zu stützen.
    »Bei all der Zukunft vergessen wir gleich noch die Gegenwart«, sagte Caffarelli etwas ungehalten. »Was ist das für ein Lied, das Sie für mich geschrieben haben, Exzellenz?«
    »Hier ist es«, sagte Calori. An Caffarellis argwöhnischer Miene konnte sie erkennen, dass er verstand, was es bedeutete, dass sie diese Noten in der Hand hielt.
    »Und Sie wollen mich begleiten?«, fragte der Kastrat langsam.
    »Das wäre mir eine Ehre.«
    »Nun ja. Schauen wir uns das Lied einmal an.« Es war auch für Calori die erste Gelegenheit, die Komposition des Herzogs in Augenschein zu nehmen, und es gelang ihr, sich darauf zu konzentrieren, und nicht darauf, was wohl in Giacomo vorging. Die Gefahr war für sie noch nicht vorüber. Wenn Caffarelli den Abend mit dem Entschluss beendete, bei der nächsten Opernpremiere ihr das Leben zur Hölle zu machen, dann war alles umsonst gewesen. Doch da er gerade für sie Partei ergriffen hatte, glaubte sie das nicht mehr.
    Was die Komposition des Herzogs betraf, so konnte sie sich zwar nicht mit denen von Händel oder Hasse messen, aber sie war erleichtert, dass es sich um nichts Schlechtes handelte. Es erinnerte sie an die Werke von Farinellis Bruder, Carlo Broschi, und war sowohl für einen Sopran wie auch für einen Kastraten durchaus zu singen.
    »Sie haben recht«, sagte Caffarelli abrupt. »Wir müssen das Lied wenigstens einmal vorher üben. Kommen Sie mit.«
    Unter einigem Getuschel verließen sie den Salon, doch Caffarelli blieb bereits auf der Galerie stehen, wo sich inzwischen kaum noch jemand befand, und musterte sie mit zusammengekniffenen Augen.
    »Damit wir uns richtig verstehen«, sagte er, »das ist meine Stadt. Meine. Ich habe Blut und Tränen geschwitzt, um hier der größte Sänger Europas zu sein und in meinem eigenen Palazzo zu leben.«
    Sie verbiss sich die Frage nach Farinelli.
    »Sängerinnen kommen und gehen, aber der Primo Uomo bleibt. Immerhin, wenn Sie den Herzog dazu gekriegt haben, dass er Lieder für Sie schreibt, haben Sie ihn bei den Eiern gehabt und nicht nur nach Geld an ihm geschüttelt, und das heißt, dass Sie nicht ganz dumm sein können. Aber glauben Sie nur nicht, dass er Sie nicht entlassen würde, wenn ich das fordere. Den König selbst hat es nicht gekümmert, wen ich verprügle und wo ich es tue, solange ich auf der Hochzeit seines Bruders gesungen habe. Ich kann mit Ihnen machen, was ich will. Das müssen Sie wissen, und das wissen Sie, da Sie nicht dumm sind. Aber Sie sind trotzdem hier. Hier in Neapel und hier, heute Abend. Was wollen Sie also?«
    Es war nicht der Zeitpunkt, um zu lügen. Es war der Zeitpunkt, um ihr Wissen um Sänger, um solche wie Appianino und deren Natur zu nutzen und eine Wahrheit auszusprechen, die ihr die schwierigste aller Türen öffnete und nicht verschloss. Jetzt kam es darauf an. Ohne es zu wollen, dachte sie daran, wie Giacomo sie mit seinen eigenen Wahrheiten entwaffnet hatte, und sie gab sich einen Ruck.
    »Ich möchte Sie singen hören und mit Ihnen singen«, erwiderte Calori.
    »Das ist eine Schmeichelei«, sagte er misstrauisch. »Wer schmeichelt, hat schon betrogen oder hofft, es noch tun zu können.«
    »Wenn Menschen einander nicht schmeicheln würden, gäbe es keine Einladungen mehr, und wir wären nicht hier. Aber nein«, gab sie zurück. »Sie sagten es selbst. Sie sind der größte Sänger Europas. Und ich lebe für die Musik. Wie kann ich mich da nicht danach sehnen, Sie zu hören? Und wie kann ich mir nicht wünschen, mit Ihnen zu singen? Ich glaube nicht, dass auch nur ein einziger der Menschen auf der Gesellschaft heute Abend das noch versteht, aber Sie, Maestro, Sie verstehen es. Wären Sie ich – würden Sie sich da etwas anderes wünschen?«
    Seine Mundwinkel sanken herab, während er sie betrachtete. »Schön«, sagte er. »Schön. Vielleicht sagen Sie die Wahrheit. Aber das macht Sie noch lange nicht würdig, mit mir irgendeine Art von Bühne zu teilen. Woher soll ich wissen, ob Ihre Stimme auch nur einigermaßen annehmbar ist?«
    Weil ich sonst nicht hier wäre, du aufgeblasener Narr, dachte Calori erbost, aber sie behielt die Ehrfurcht in ihrer Stimme. Geheuchelt war sie nicht. Caffarelli mochte so eitel wie ein Pfau sein, aber um die Position innezuhaben, die er einnahm, musste er sie verdienen. Und ihm war so wenig etwas geschenkt worden wie ihr.
    »Finden wir es heraus«, sagte sie daher so bescheiden
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