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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung
Autoren: Tanja Kinkel
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Zukunft«, sagte Giacomo unerwartet. Seine Stimme klang leicht belegt und trug eine Mischung von Zorn, Bewunderung und Herausforderung mit sich. »Und sehr gut darin, abzulegen, was nicht mehr für sie nötig ist. Ich hatte das Vergnügen, Signora Calori als Mann und als Frau singen zu hören, daher überrascht es mich, dass sie irgendwelche Begleitung noch für nötig hält, bei ihren Vorführungen.«
    Damit hatte er genau das erreicht, was sie vorerst hatte vermeiden wollen, und sie Caffarelli als mögliche Konkurrenz dargestellt. Ihre Bemerkung über das Gerümpel musste ihn wirklich verletzt haben. Sie versuchte, keine Reue zu empfinden. Warum nur war er mit der Contessa gekommen! Sie wäre sonst überglücklich gewesen, ihn wiederzusehen.
    Jetzt war nicht die Zeit, um über Giacomo nachzugrübeln, nicht, wenn alle Ablenkungsmanöver am Ende umsonst gewesen waren und sie immer noch mit Caffarellis Feindschaft rechnen musste, noch ehe sie sich in Neapel etablieren konnte. Casanova schaut sie fragend an und sagte:
    »Ist das nicht so?«
    Sie kam nicht dazu zu antworten, denn die Contessa fuhr dazwischen. »Keineswegs! Diese Person ist als Sängerin so gewöhnlich wie Schmutz. Kein Mensch von Geschmack würde in ihr je etwas anderes sehen. Was ihre gelegentlichen Männerdarstellungen betrifft, nun, so hat man Überzeugenderes auf dem Marktplatz gesehen, in Käfigen. Wer außer einer Närrin von niederer Geburt würde schon das andere Geschlecht imitieren und glauben, dass sie damit überzeugt?«
    Ihre Stimme war lauter und lauter geworden, und immer noch herrschte um sie herum Stille, als sie ihre Tirade mit unverkennbar aufgetragenem Triumph beendete. Calori spürte die neugierigen Blicke der Gesellschaft auf ihrer Haut, wie Bienenstiche. Doch es war Caffarelli, der antwortete, ruhig, als ginge es darum, sich ein Glas Wein zu erbitten:
    » Ich bin von niederer Geburt, und meine Frauenrollen in Rom waren die ersten, die mir Unsterblichkeit verliehen.«
    Es war schwer, nicht erleichtert aufzuatmen, doch Calori gelang es.
    »Nun, ich komme mehr und mehr zu dem Schluss, dass Kastraten genauso wenig existieren sollten wie unverschämte Weiber aus der Gosse«, gab die Contessa zurück. »Wirklich, Don Rocco, ich bin empört, dass ich mir auf Ihrer Gesellschaft dergleichen bieten lassen muss.«
    »Donna Giulia, dem kann man sehr einfach abhelfen«, sagte der Herzog ungerührt, nachdem er die entstandene Stimmung ausschließlich ihr anlastete. »Warum lassen Sie sich nicht von Ihrem jungen Begleiter an die frische Luft bringen? Sie würde Ihnen gewiss guttun.«
    Dass ein Mann ihres Standes gegen Emporkömmlinge nicht automatisch ihre Partei ergriff, war der Contessa noch nie geschehen. Statt jedoch noch zorniger zu werden, fiel ihr Gesicht ein, und einen Moment lang konnte man erkennen, wie sie als alte Frau aussehen würde, obwohl sie gewiss die vierzig noch vor sich hatte. Die weiße Schminke, in zehn verschiedenen Schattierungen aufgetragen, wirkte wie die Maske einer Komödiantin. Dann fasste sie sich wieder.
    »Nichts lieber als das«, sagte sie verächtlich und suchte den Arm ihres Begleiters.
    »Ich erwähne es ungern, aber es regnet«, sagte Giacomo gelassen. »Meine Uniform hier ist zurzeit die einzige, die ich bei mir habe. Da ich mich gerade erst dem Dienst für das venezianische Vaterland verpflichtet habe, möchte ich das bei meiner Ankunft in Korfu in möglichst fleckenfreier Weste und Hose tun. Deshalb sollten wir doch noch das Konzert dieser Künstler abwarten?«
    Was die Contessa dabei heraushörte, war nur, dass er sich über sie lustig machte. »Wenn die Österreicher euch allen den Hals abschneiden, wird das noch zu gut für euch sein, Gesindel«, sagte sie, raffte ihre Röcke und rauschte aus dem Salon. Caffarelli zuckte die Achseln.
    »Wenn das gerade Ihre Mäzenin war, dann sollten Sie sich anschließen, mein Freund«, sagte er zu Giacomo. »Wer sind Sie überhaupt?«
    Erst als sie ihre eigene Stimme hörte, wurde sich Calori bewusst, dass sie laut sprach. »Die Zukunft«, sagte sie und versuchte, all die widersprüchlichen Gefühle, die sie schüttelten, zu ordnen. »Und sehr gut darin, immer neue Begleitung dafür zu finden. Ich hatte das Vergnügen, mit Signore Casanova zu reisen, und ich kann Ihnen versichern, dass es wenige Menschen gibt, mit denen man die Welt besser erleben kann.«
    Giacomo erwiderte ihren Blick, und es kam ihr vor, als zögen sie beide wieder an einem Tau, halb in der
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