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Verführt: Roman (German Edition)

Verführt: Roman (German Edition)

Titel: Verführt: Roman (German Edition)
Autoren: Teresa Medeiros
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Kombüsentisch anschreien zu müssen.
    Üblicherweise beruhigte sie die nächtliche Stimmung an Deck, doch der erhoffte Friede wollte sich nicht einstellen. Rastlosigkeit verdarb ihr die Ruhe. Sogar die tiefe Musik der wohltönenden Männerstimmen erschien ihr dumpf und kalt.
    Sie runzelte die Stirn und leckte sich das Salz von den Lippen. Im aufkommenden Nebel trug der Schall normalerweise glockenklar, doch die Nacht hüllte sich in Schweigen, als hielte die See den Atem an. Sie versuchte, etwas zu erkennen, sah aber nur den Nebel, wie er sich aus tintenblauer Dunkelheit emporwand, und den aufgehenden Mond, der mit den Wolkenfetzen flirtete.
    Kalte Nebelfinger bahnten sich ihren Weg durch den hauchdünnen Musselin ihres Kleides und befeuchteten mit gierigem Griff die nackte Haut. Die Geschichten, die sich die Seeleute über Captain Doom erzählt hatten, setzten ihr zu. In einer Nacht wie dieser brauchte es kaum Fantasie, sich ein Geisterschiff vorzustellen, das auf der Suche nach Beute übers Meer pirschte. Lucy hörte beinah den Gesang der verlorenen, Rache schwörenden Matrosen und den hohlen Schlag der Glocke, die ihr Verderben einläutete.
    Sie schüttelte den köstlichen Schauer ab. Sie konnte sich ungefähr ausmalen, was der Admiral zu ihren Schrullen gesagt hätte.
    Sie war gerade dabei, sich von der Reling wegzudrehen, um sich in den irdischeren Komfort ihre Kabine zu begeben, als sich der Vorhang der Dunkelheit teilte und das Geisterschiff in Sicht kam.
    Lucys Herz tat einen Schlag gegen die Rippen, dann schien es gänzlich stillzustehen. Sie klammerte sich an die Reling. Unbeachtet glitt das Schultertuch aufs Deck.
    Ein Strahl aus Mondlicht stahl sich durch die Wolken, als der schlanke schwarze Bug des Geisterschoners die Wellen durchschnitt, die mächtigen Masten in Nebel gehüllt, die Takelage glitzernd wie das Netz einer Tod bringenden Spinne. Tiefschwarze Segel wölbten sich im Wind und flüsterten, anstatt zu schlagen. Das Schiff segelte in unheimlicher Stille, ohne Positionslichter, ohne ein Zeichen von Leben an Bord, ohne einen Hauch von Gnade.
    Lucy stand wie versteinert da, gelähmt von einer tief verwurzelten Angst. Der Wind peitschte ihr das Haar ins Gesicht und gab den hungrigen Segeln des Geisterschiffs Nahrung, doch Lucy fühlte sich, als stünde sie im luftleeren Raum. Sie konnte nicht denken, nicht atmen, nicht schreien.
    In diesem Moment sah sie am höchsten Mast des Schiffs die Piratenflagge wehen – eine Hand, elfenbeinfarben auf schwarzem Grund, die scharlachrote Blutstropfen aus dem Herzen eines Opfers presste. Lucys Hand flog an ihr eigenes Herz, und sie kämpfte gegen die absurde Vorstellung, das da sei ihr Herz, das nicht länger ihrem Willen gehorchte, sondern dem dunklen Kommando des Geisterkapitäns. Wenn sie die Einzige war, die das Schiff sehen konnte, dann galt auch seine grimmige Botschaft nur ihr allein.
    Mit zerstörerischer Anmut kam das Geisterschiff heran. Lucy besann sich auf den Bericht des Matrosen. Sie machte die Augen zu. Sie wusste, wenn sie sie wieder aufschlug, würde das Schiff verschwunden sein. Ein bitteres Gefühl des Verlusts schnürte ihr die Kehle zu. In ihrem fein säuberlich geordneten Leben war kein Platz für dunkle Fantasien, doch des Schiffs unirdische Schönheit hatte einen geheimen Winkel ihrer Seele berührt.
    Das Feuer der Kanonen setzte den nächtlichen Himmel in Brand. Lucys Augen flogen auf, als das Geisterschiff in jener universellen Sprache, die ein jeder verstand, einen höchst irdischen Warnschuss vor den Bug der Fregatte setzte.

2
     
    Mit der ersten blendenden Explosion brannte sich der in den Bug geschnitzte Name des Geisterschiffs auf immer in Lucys Erinnerung ein: Retribution … Rache.
    Heisere Schreie und wildes Getrampel ließen das Deck der Tiberius erbeben, während die entsetzte Mannschaft zwischen Kampfesgeist und Kapitulation schwankte. Ein grober Griff um den Arm riss Lucy aus ihrem großäugigen Staunen. Der junge Matrose, der Captain Dooms bloße Existenz gerade eben noch angezweifelt hatte, zerrte sie mit einer Vertraulichkeit von der Reling weg, die er sich ein paar Minuten früher kaum angemaßt hätte.
    »Sie gehen besser in Ihre Kabine, Miss. Das hier wird hässlich.« Doch sein forscher Auftritt konnte sein vor Angst kalkweißes Gesicht nicht verbergen.
    Lucy fand sich durchs Kampfgetümmel gezerrt und ziemlich unsanft zur Kajüttreppe gestoßen. Sie gehorchte, ohne nachzudenken, flog fast die enge Stiege hinunter,
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