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Verfuehrt

Verfuehrt

Titel: Verfuehrt
Autoren: Kathryn Taylor
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auf keinen Fall so stehen lassen.
    »In zwei Tagen ist so eine Expertise nicht zu schaffen, Nigel. Selbst wenn er direkt angefangen hätte, wäre er jetzt noch nicht fertig. Und wenn deine Frau bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen wäre, würdest du vielleicht auch nicht mehr so gerne fliegen.«
    Betroffen sieht Nigel mich an. »Ist ihm das passiert?«
    Ich nicke und spüre einen schmerzhaften Stich. Denn dass Matteo keinen Flieger mehr betritt, hat mir noch mal vor Augen geführt, wie sehr ihn der Tod seiner Frau Giulia immer noch belasten muss. Sie stürzte vor sechs Jahren zusammen mit ihrem Fluglehrer in einer kleinen Sportmaschine ins Meer und kam dabei ums Leben. Er redet nie darüber, genauso wenig wie über den Unfall, bei dem er sich ungefähr zur gleichen Zeit diese furchtbare Narbe auf der Brust zugezogen hat. Aber beides hat etwas damit zu tun, dass er – abgesehen von seiner Familie – niemanden mehr wirklich an sich heranlässt. Ich hätte dieses Geheimnis gerne ergründet, aber ich fürchte, dazu werde ich keine Gelegenheit mehr haben.
    »Das tut mir leid für ihn«, sagt Nigel, dessen anfängliche Betroffenheit jedoch schon wieder verschwunden ist. »Aber dann wäre er vielleicht besser in Italien geblieben. Es gibt schließlich genügend andere Kunstexperten, die sich auch mit Enzo-Gemälden auskennen und bereit sind, nach London zu fliegen, wenn sie gebraucht werden.«
    »Aber Lord Ashbury akzeptiert nur Matteos Meinung, das weißt du doch«, erinnere ich ihn. »Was ich übrigens verstehen kann – er ist definitiv der Beste auf diesem Gebiet.«
    Nigels Miene wird noch finsterer. »Du magst diesen Bertani ja wirklich sehr.«
    Er sagt es zwar ruhig – Ausbrüche in irgendeiner Form sind einfach nicht seine Art –, aber es klingt dennoch wie eine Anklage, drängt mich in eine Ecke, in der ich gar nicht stehen will.
    »Matteo hilft uns, obwohl er das – worauf du vorhin zu Recht hingewiesen hast – nicht müsste. Ich habe also keinen Grund, ihn nicht zu mögen«, erkläre ich Nigel kühl und mache aus meiner Verärgerung keinen Hehl. Was ihn – endlich – einlenken lässt.
    »Entschuldige.« Er tritt einen Schritt auf mich zu und streicht mit den Händen über meine Oberarme, sieht mich zerknirscht an. »Du hast natürlich recht. Wir sollten froh sein, dass er sich die Zeit für die Expertise genommen hat. Ich schätze, ich bin einfach ein bisschen eifersüchtig. Du warst so lange weg, und jetzt, wo ich dich endlich wiederhabe, muss ich dich schon wieder teilen.«
    Er lächelt sein altvertrautes Lächeln, das mir schon durch so viele stressige Tage geholfen hat, und für einen kurzen, verzweifelten Moment wünschte ich, dass alles wieder so sein könnte wie vor meiner Reise nach Rom. Einfach. Überschaubar. Berechenbar.
    Aber ich kann die Zeit nicht zurückdrehen, denke ich mit einem Kloß im Hals. Bevor ich Matteo traf, hätte ich mir durchaus vorstellen können, dass aus Nigel und mir mal ein Paar wird. Er ist eigentlich der ideale Mann für mich, weil er so verlässlich ist in allem, was er tut. Bei ihm weiß ich immer, woran ich bin – und ich dachte, dass ich das brauche. Doch es ist einfach nicht mehr da, dieses angenehme, sichere Gefühl, das ich in seiner Nähe sonst empfunden habe. Stattdessen stört es mich, dass er auf einmal solche Besitzansprüche an mich stellt.
    »Sehen wir uns heute Abend?« Seine Stimme klingt hoffnungsvoll. »Ich reserviere uns einen Tisch im ›Oyster’s‹, so wie immer, ja?«
    Ich schüttele den Kopf. »Nein, lieber nicht. Ich weiß nicht, wie lange es bei Lord Ashbury dauert. Und außerdem bin ich nach der langen Fahrt wirklich müde.« Weshalb ich seine Frage auch ein kleines bisschen unsensibel finde.
    »Schade«, sagt er niedergeschlagen, und plötzlich will ich nur noch flüchten aus dieser merkwürdigen Situation. Demonstrativ sehe ich auf die Uhr.
    »Wir müssen wirklich weiter, sonst wird das alles zu knapp«, sage ich und hoffe, dass Nigel mich diesmal nicht aufhält. Tut er auch nicht, sondern folgt mir in den Flur.
    Dad und Matteo stehen in der Eingangshalle, haben ihren Rundgang also offenbar beendet, und Matteo lächelt gerade über etwas, das mein Vater sagt. Was mich auf eine merkwürdige Weise berührt, vielleicht, weil ich ihn mir hier, in dieser Umgebung, nie wirklich vorstellen konnte. Ich dachte, er würde niemals Teil meines Londoner Alltags sein, und es ist ein bisschen schwer zu begreifen, dass er es jetzt ist – zumindest
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