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Verführerische Unschuld

Verführerische Unschuld

Titel: Verführerische Unschuld
Autoren: CHRISTINE MERRILL
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    Aber ihre innere Stimme wollte nicht schweigen. Du bist nicht schlecht. Das weißt du genau. Der Mann ist alt, du bist jung. Und dein Vater macht das nur, damit du nie, niemals deine Jugend wirst genießen können.
    Als ob der Mann, der inzwischen in die Kutsche gestiegen war, ihre Gegenwart gespürt hätte, hob er plötzlich den Blick und entdeckte sie auf dem Balkon. Sie blieb still stehen und bemühte sich, nicht ängstlich zu erscheinen.
    Mit einem Zuruf hielt er den Kutscher zurück, der die Pferde antreiben wollte, und starrte sie, wie ihr schien, endlos lange an. Sie konnte seinen Blick nachgerade fühlen, wie er auf ihrem Körper verweilte, langsam über ihre Brust und ihre Kehle glitt, bis er auf ihrem Gesicht haften blieb. Dann lächelte er, jedoch ohne Wärme, so, als sei sie gar kein lebendes Wesen. Und dann sah sie, wie seine Hände zu zucken begannen, über das Leder des Sitzes strichen, sich in die Polster gruben und sie pressten und seine Finger sich tief in die Kissen bohrten. Abrupt rief er mit rauer erregter Stimme dem Kutscher einen Befehl zu, und die Pferde setzten sich in Bewegung.
    Esme ließ sich gegen die Hauswand sinken; sie spürte ihre Knie zittern. Vielleicht hatte sie seinen Ausdruck falsch gedeutet? Der Mann war ja weit weg gewesen. Sicher hatte er an alles andere gedacht als an ihre Vermählung, er hatte vielleicht in den Falten des Polsters nach einem Schlüssel oder einer Münze gesucht, und es war nur der Teufel, der in ihr steckte, wie ihr Vater so oft behauptete, der ihr eingegeben hatte, die Hände des Mannes wären gierig und hart über ihren Körper geglitten.
    Sie umklammerte das Geländer und atmete tief ein, um gegen die aufsteigende Übelkeit anzukämpfen. Nein, unmöglich! Dieses eine Mal musste ihr Vater ihre Bitte erhören. Wenn sie vielleicht versprach, von nun an immer gehorsam zu sein, ihn nicht zu verärgern, was ihr ja anscheinend immer wieder gelang. Wenn sie einwilligte, den von ihm ausgesuchten Mann zu heiraten, jeden Mann. Nur nicht den Earl of Halverston …
    Ein plötzliches Klirren ließ sie aus ihren albtraumhaften Gedanken auffahren. Im Haus gegenüber war eine große Scheibe zersprungen. Nun flogen die beiden Flügel auf, und ein Mann erschien in der Öffnung der Balkontür, den Rücken Esme zugekehrt. Seine Haltung verriet den Soldaten, und als er nun etwas sagte, drang sein angenehmer Bariton laut und deutlich bis zu ihr hinüber.
    „Wenn das kein Beweis ist! Lassen wir doch die Türen offen, damit der andere Flügel nicht auch noch unter deinen Launen leiden muss.“
    Ein Wurfgeschoss segelte an ihm vorbei und landete auf der Straße, dann ein weiteres, das er, ausweichend, mit einer Hand auffing. Als er es in der Luft herumwedelte, sah Esme, dass es ein seidener Damenschuh war.
    „Und was, bitte“, sagte er, „sollte das nun? Selbst ein Treffer hätte mir nichts angehabt. Da du mich verfehlt hast, musst du nun auf einem Bein nach Hause hüpfen, denn ich will verdammt sein, ehe ich auf die Straße gehe, um dir den anderen Schuh zu holen.“
    Die Besitzerin der Schuhe antwortete mit einer wütenden Tirade, die für Esmes ungeübtes Ohr wie Spanisch klang.
    Der Mann kreuzte die Arme über der Brust und lehnte sich an den Türrahmen, wodurch er sein edles Profil und sein sardonisches Lächeln für Esme deutlich sichtbar zur Schau stellte. „Nein“, entgegnete er auf einen weiteren Wortschwall, „du hast unrecht. Meine Mutter versicherte mir, dass ich ein legitimer Sprössling bin. Nicht, dass mir das bisher viel genützt hätte.“
    Wieder wurde er auf Spanisch beschimpft, und wieder hörte man Glas klirren, dieses Mal im Innern der Wohnung.
    „Nun hast du auch noch den Spiegel zerschlagen! Wie unangenehm für dich.“ Mit einer halbherzig gezielten Bewegung warf er seinem Gegenüber den Schuh wieder zu. „Warum ich mir um alles in der Welt ein so hirnloses Geschöpf wie dich nahm …“ Er warf einen Blick ins Innere des Raumes. „Nun ja, eigentlich ist es offensichtlich … aber nicht Grund genug, dich zu behalten. Cara, du kannst, wie ich ja sagte, das Apartment bis zum Monatsende behalten. Es wird dir nicht schwerfallen, einen neuen Beschützer zu finden, denn wenn du nicht gerade in deiner Wut mit den teuren Geschenken wirfst, die ich dir machte, bist du ganz charmant und außerordentlich schön dazu.“
    Die Frau im Zimmer spie weitere unverständliche, aber eindeutig beleidigend gemeinte Sätze aus.
    Verlegen, dass sie lauschte,
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