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Verfolgt

Verfolgt

Titel: Verfolgt
Autoren: Ally Kennen
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Gesicht erwischt. Eine Narbe wäre schrecklich.
    »Owen, wo bist du?«, rufe ich zaghaft. Nicht, dass mich die Hunde hören und angerannt kommen, um mir den Rest zu geben. Ich drehe mich ängstlich um, da trete ich in etwas Nasses, Kaltes. Ich stehe bis zu den Knien in einem braunen Tümpel und muss mich an einem Schilfbüschel wieder herausziehen. Dabei verliere ich einen Turnschuh und muss ihn aus dem Schlamm fischen. Ich setze mich ins pieksige Stoppelgras am Rand des Tümpels |43| und versuche den Schuh sauber zu wischen, aber es nützt nicht viel. Widerstrebend ziehe ich das verdreckte Teil wieder an. Gibt’s hier wenigstens wieder Handyempfang? Nö. Keine Chance. Hoch über den Bäumen kreist ein Vogelschwarm.
    Nicht zu fassen! Passiert mir das gerade wirklich? Was mache ich überhaupt hier? Ich gehöre in die Stadt, wo ich mich mit meinen Freundinnen Moz und Debs treffen kann. Oder mit Chas. Nein, mit dem nicht. Chas ist mein Ex. Wir sind seit drei Monaten nicht mehr zusammen. Er hat sowieso nicht zu mir gepasst. Das war mir von Anfang an klar, aber er sah einfach zu gut aus. Außerdem hat er mich immer zum Lachen gebracht und er hat mich angebetet. Diese Kombination ist Gift für mich. Egal, jetzt ist es jedenfalls aus. Schade, vor allem, weil kein Ersatz in Sicht ist. Chas schickt mir immer noch SMS:
     
    Lex meine gr Liebe
     
    oder
     
    Denk an dich
     
    Wenn er doch jetzt hier wäre.
    Ich überlege, was ich machen soll, aber ich kann nicht klar denken, weil ich solchen Durst habe. Für eine Cola könnte ich einen Mord begehen! Ich würde es mit einer ganzen Hundemeute aufnehmen! Wenn meine Uhr richtig |44| geht, ist es zwei. Vor fünf Stunden habe ich Owen zuletzt gesehen. Bestimmt sucht er schon nach mir   … oder? Wenn die Hunde ihn anfallen, braucht er nur seine Flinte zu nehmen und die Viecher abzuknallen. Ich werde allerdings die Vorstellung nicht los, dass er die Suche nach mir längst aufgegeben hat, zu Hause im warmen Wohnzimmer sitzt und Tee trinkt. Ob meine Mutter irgendwann die Polizei verständigt? Wohl eher nicht, weil sie bestimmt annimmt, dass ich nach Bexton abgehauen bin. Jetzt ist sie sowieso noch auf der Arbeit. Nein, sie wird sich nicht die Mühe machen, mich mit Hubschraubern suchen zu lassen. Ich bin ja nicht Devlin. Wieder einmal denke ich darüber nach, warum sie so verrückt nach ihm ist. Er war ein superhyperaktives Kind, niemand konnte ihn bändigen. Ich sehe noch genau vor mir, wie ihm Dad auf den Kopf haut und ihn dabei anbrüllt: »Du – (Kopfnuss!) – schlägst (Kopfnuss!) – nie wieder (Kopfnuss!) – kleinere Kinder!«
    Mein Bruder hat keine Hemmungen, jemanden auszurauben oder Autos zu knacken oder vor sonst irgendwas. Aber wenn Mutter von ihm spricht, könnte man denken, er wäre der reinste Musterknabe. Von wegen! Die haben ihn sogar aus dem Kindergarten geschmissen, weil er die anderen Kinder verprügelt hat. Unsere Mutter hat immer behauptet, das ist nur eine Phase, aber die »Phase« dauert jetzt schon verdammt lange. Die Schule hat Devlin überwiegend geschwänzt. Inzwischen ist er endgültig auf der schiefen Bahn und es geht nur noch rein in den Knast, |45| raus aus dem Knast, wieder rein und immer so weiter, kein Ende in Sicht.
    Ich komme an einen Bach und strecke die verletzte Hand hinein. Das Wasser sieht einigermaßen sauber aus. Ich halte es vor Durst nicht mehr aus und trinke einen Schluck. Es ist kalt und schmeckt köstlich. Ich schaufle mir händeweise Wasser in den Mund, wie ein kleines Kind, das sich mit Schokolade vollstopft. Dann schaue ich mich nach allen Seiten um. Die Hunde lassen sich nicht blicken.
    Ich ziehe die Jeans aus und inspiziere meine Blessuren, eine Bisswunde an der Wade, eine am Oberschenkel. Die am Oberschenkel ist am tiefsten, meine Jeans hat an der Stelle einen Blutfleck. Ich kann kein Blut sehen – mein eigenes geht grade noch, aber wenn ich sehe, wie jemand anders blutet, wird mir kotzübel. Ich spritze Wasser auf die Bisse. Das Wasser ist auf jeden Fall sauberer als Hundespucke. Dann ziehe ich die Jeans wieder an. Dad wollte mich heute anrufen. Jetzt habe ich ihn bestimmt verpasst.
    Da höre ich ein vertrautes Summen. Trotzdem fällt mir nicht gleich ein, was es ist. Ein Strommast! Ich folge dem Summen, den Blick nach oben gerichtet, und siehe da, über den Bäumen taucht tatsächlich die Spitze eines Strommastes auf. Ob die Leitungen zu dem Mast hinter dem Haus meiner Mutter führen? Dann wäre es nicht schwer, den Heimweg
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