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Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Titel: Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
Autoren: Michael Böckler
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stürzte er ohne jegliche Vorwarnung in sich zusammen. Ein Wunder, dass dabei nur die Katze des Turmwächters zu Tode kam. In Windeseile bauten die Venezianer ihr Wahrzeichen wieder auf. Und schon zehn Jahre später war das gewohnte Bild der Piazza San Marco wieder hergestellt.
    Der Canal Grande verschwand hinter der Dogana di Mare und der Chiesa della Salute. Rechts zog der Sestiere Dorsoduro, der harte Rücken, vorbei. Links lag die Insel Giudecca, deren Name möglicherweise auf die Juden zurückzuführen ist, die hier im 12. Jahrhundert gewohnt hatten. Gleich bei der Chiesa delle Zitelle lag das Hotel Cipriani & Palazzo Vendramin, eine Gründung des legendären Giuseppe Cipriani von der Harry’s Bar. Heute gehört das Luxushotel zu einer internationalen Hotelgruppe.
    In der Verlängerung des Canale della Giudecca schoben sich bereits die Industrieanlagen von Porto Marghera ins Bild. Mark fuhr sich durch die Haare. Ein brutaleres Kontrastprogramm war wirklich kaum vorstellbar. Hier die prächtige Lagunenstadt, die Serenissima mit ihren einmaligen Kunstschätzen und dem Lebensgefühl einer untergegangenen Epoche. Direkt dahinter die hässliche Fratze der Industrialisierung, die ihn an verpestete Luft und vergiftete Abwässer denken ließ. Mark schaute durch den Sucher der Kamera und drückte auf den Auslöser.
    Einige Tische, die linker Hand am Canale standen, gaben ein letztes Lebenszeichen des feinen Venedig. Sie gehörten zu Harry’s Dolci, einem Ableger der berühmten Bar von Cipriani. Der Backsteinkomplex von Mulino Stucky leitete über zum gegenüberliegenden Industriehafen von Venedig – verrottete Lagerhallen, vergammelte Krananlagen und verrostete Frachter. Vor ihnen tauchte die Isola del Tronchetto auf, wo die Fähre gleich anlegen würde. Mark verstaute die Kamera, nahm den Alukoffer und machte sich auf den Weg nach unten zu seinem Auto. Seine Habseligkeiten waren alle noch da. Der alte Roadster sprang auf Anhieb an – was bei ihm nicht immer selbstverständlich war. Über eine stählerne Rampe fuhr er an Land.

7
    R udolf Krobat saß in den Vormittagsstunden desselben Tages zu Hause an seinem Schreibtisch und blätterte unkonzentriert in Geschäftspapieren seiner Weinhandelsfirma. Das Unternehmen war schon von seinem Vater gegründet worden und auf den Import und Vertrieb von italienischen Weinen spezialisiert. Er war stolz darauf, dass er zu den größten Anbietern in Deutschland zählte. In seinem Zentrallager im Osten Münchens hatte er ständig Weine im Wert von einigen Millionen Mark in den Regalen. Darunter befanden sich ebenso billige Massenweine wie Spitzenweine aus den besten Lagen Italiens. Entsprechend breit gefächert war sein Kundenkreis. Er reichte von großen Einzelhandelsketten und Kaufhäusern bis hin zur Spitzengastronomie.
    Rudolf Krobat führte ein luxuriöses Leben. Er bewohnte eine Villa in Grünwald, hatte immer die neuesten Nobelkarossen in der Garage und war Mitglied in einem renommierten Yachtclub am Starnberger See. An der Wand neben seinem Schreibtisch hing ein gerahmtes Bild, das ihn zusammen mit einigen Würdenträgern aus der bayrischen Politik zeigte. Er war ein gern gesehener Gast bei Premieren, Modeschauen, auf Vernissagen und bei den Partys der Münchner Schickimicki-Gesellschaft. Kurzum, Rudolf Krobat gehörte einfach dazu! Dass ihn manche für einen etwas großspurigen Neureichen hielten, das wusste er, aber es machte ihm nichts aus. Schließlich lebte man nur einmal. Heute Abend hatte er einen Tisch in einem bekannten Sterne-Restaurant bestellt. Es gehörte zu den angenehmen Pflichten seines Berufs, sich dort immer wieder mal sehen zu lassen. Immerhin standen auf der Weinkarte diverse Marken, die von ihm exklusiv vertrieben wurden.
    Krobat lehnte sich zurück und zündete sich eine Zigarre an. Er dachte an Ilonka, mit der er letzte Nacht einige Stunden verbracht hatte. Oder war ihr Name Ivanka gewesen? Egal. Jedenfalls hatte sie all seine Wünsche erfüllt. Krobat drehte versonnen die Zigarre zwischen den Fingern und blies leicht in die Glut. Nun, billig war das Mädchen nicht gewesen. Aber das waren sie alle nicht, die wirklich guten Callgirls. Da unterschieden sie sich wenig von seinen Weinen. Qualität hatte eben ihren Preis. Billige Nutten waren wie gepanschter Wein. Sie sind belanglos, haben häufig Kork. Und hinterher plagt einen das schlechte Gewissen, dass man sich auf so ein erbärmliches Niveau herabgelassen hat. Rasseweiber dagegen, die ließen wie
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