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Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Titel: Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
Autoren: Michael Böckler
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ein großer Wein die Sinne explodieren. Rudolf Krobat benetzte mit den Lippen seine Zigarre. Man vergisst Raum und Zeit. Alle Hemmungen werden förmlich hinweggespült. Und danach fühlt man sich großartig. Erschöpft vielleicht, ermattet, aber großartig. Ein Genuss ohne Reue, ohne Kater.
    Das Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken. Er legte die Zigarre behutsam in den Aschenbecher und hob ab.
    »Ja, bitte?«
    »Sind Sie Herr Krobat?«, wollte die Anruferin mit einem unüberhörbaren italienischen Akzent wissen.
    Rudolf Krobat schob den Drehstuhl zurück und stand auf.
    »Ja, am Apparat. Und wer sind Sie?«
    »Mein Name ist Laura Zanetti. Ich wohne im Haus Ihrer Großmutter am Gardasee.«
    »Ja, ich erinnere mich. Meine Großmutter hat uns bei meinem letzten Besuch miteinander bekannt gemacht. Warum rufen Sie an? Kann ich etwas für Sie tun?«
    »Ich habe eine traurige Mitteilung.«
    »Ist meiner Großmutter etwas passiert?«
    »Sie ist tot!«
    »Tot? Um Gottes willen. Aber vor drei Wochen, da war …« Rudolf Krobat hielt mitten im Satz inne. Er schluckte. Nach einer kurzen Pause sprach er weiter: »Vor drei Wochen, bei meinem letzten Besuch, da fühlte sie sich doch noch ausgesprochen gut. Warum hat sie mir denn nicht gesagt, dass es ihr schlecht geht?«
    »Das konnte sie nicht«, antwortete Laura. »Ihr ging es nicht schlecht. Es war ein Unfall. Ich habe Ihre Großmutter gestern Abend im Garten ihres Hauses gefunden. Offenbar ist sie über die kleine Mauer gestürzt, Sie wissen schon, die Mauer auf der Terrasse links.«
    »Links? Wenn man von innen kommt? Dort, wo es zum Rosenbeet hinuntergeht?«
    »Genau. Über diese Mauer ist sie hinuntergefallen. Und zwar, wie es scheint, schon vorgestern Abend. Der Arzt, der ihren Tod festgestellt hat, sagt, dass sie nicht habe leiden müssen. Sie sei sofort tot gewesen.«
    »Sofort tot«, wiederholte Rudolf Krobat monoton.
    »Ich konnte Sie leider erst jetzt anrufen, weil ich Ihre Nummer nicht hatte und auch Ihren Nachnamen nicht wusste. Außerdem war hier so viel los. Der Arzt, die Polizei, der Leichenwagen …«
    »Der Leichenwagen …«
    »Die Polizei hat bereits die deutsche Botschaft informiert. Ihren Namen haben wir übrigens im Adressverzeichnis von Signora Balkow gefunden.«
    »Wir?«
    »Ja, ein Commissario aus Verona und ich. Er steht neben mir, und er hat mich gebeten, dieses Telefonat zu führen, ist es wohl möglich, dass Sie sofort hierher kommen? Es ist so viel zu regeln. Irgendjemand muss sich doch um alles kümmern.«
    Rudolf Krobat zögerte keinen Augenblick. »Selbstverständlich. Ich fahre sofort los. Ich kann …« – er überlegte kurz – »… ich kann in etwa vier Stunden da sein. Können Sie so lange auf mich warten?«
    »Natürlich. Ich bin im Haus. Sie haben doch noch einen Bruder?«
    »Ja, einen Halbbruder. Er heißt Mark Hamilton, ich werde ihn gleich anrufen. Allerdings ist er immer etwas schwierig zu erreichen. Aber ich habe die Nummer seines Handys. Die restlichen Telefonate erledige ich aus dem Auto. Vor allem muss ich mich dringend mit Herrn Doktor Leuttner in Verbindung setzen. Er ist der Rechtsberater meiner Großmutter und hat sich immer um alles gekümmert. Auch um die Finanzen und so. Da wird es doch sicherlich viel Papierkram geben, wofür wir seine Hilfe brauchen. Ich bin sicher, dass er auch so schnell wie möglich nach Italien kommen wird.«
    »Gut. Und noch einmal, es tut mir wirklich Leid um Ihre Großmutter. Ich habe sie sehr gemocht. Sie war eine großartige Frau.«
    »Ich weiß. Ja, das war sie!«
    »Mein Beileid!«
    »Danke. Und besten Dank für Ihren Anruf. Das alles ist für Sie ja auch nicht einfach. Tausend Dank für alles. Ich bin schon so gut wie unterwegs. Auf Wiederhören.«
    »Auf Wiederhören, Herr Krobat.«
    Rudolf Krobat legte den Hörer zurück auf den Apparat. Er nahm die Zigarre, drückte sie im Aschenbecher aus, drückte immer fester und zerbröselte sie, bis nur noch kleine braune Fetzen übrig waren. Schließlich nahm er sein in Leder gebundenes Adressbuch und suchte die Nummer von Marks Mobiltelefon. Er hatte schon längere Zeit nicht mehr mit seinem Halbbruder gesprochen und deshalb keine Ahnung, wo er sich derzeit befand. Nachdem er die Nummer mit der englischen Vorwahl eingegeben hatte, hörte er zunächst ein Freizeichen, dann wurde die Verbindung abgebrochen, und es meldete sich eine automatische Ansage, die ihm mitteilte, dass der Teilnehmer derzeit nicht erreichbar sei. Als
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