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Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)

Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)

Titel: Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
Autoren: Gerhard Seyfried
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Augen gesehen, er kommt sich vor wie hypnotisiert. Und wie natürlich und unkompliziert sie ist! Keine Spur von Schüchternheit, kein geziertes Getue.
    Irgendwie fühlt er sich auf einmal an Betty erinnert, seine große Kinderliebe in Southampton. Seiler war damals vierzehn und Betty, die Tochter einer Freundin seiner Mutter, dreizehn. Das war kurz bevor die Familie Seiler England verließ, um nach Bremen zu ziehen. Zwölf Jahre lang hatten sie in Southampton gelebt. Dann war eine britische Agentur mit der Vertretung des NDL betraut worden, und der Vater wurde in die Bremer Direktion berufen. Für den Vater war es eine Beförderung und ein großer Schritt auf der Karriereleiter, aber für ihn eine Tragödie. Den Schmerz der Trennung von Betty hat er bis heute nicht vergessen.
    » In fünf Tagen muß ich abreisen«, erwidert er, » am kommenden Montag.«
    Ihr Blick läßt ihn nicht los, das ermutigt ihn, und er sagt: » Sie würden mir eine große Freude machen, wenn Sie mir erlauben würden, Sie noch einmal wiederzusehen, bevor ich London verlassen muß.«
    Sie lächelt ihn an, ein wenig bedauernd. » Ich würde Ihnen das gerne erlauben, Herr Seiler, aber ich fürchte, es geht nicht. Ich muß morgen früh zurück ins College.« Mit einer trotzigen Geste wirft sie den Kopf zurück, um die widerspenstige Strähne wegzuschütteln, die ihr immer wieder ins Gesicht fällt. » Es ist ein Boarding College in Cheltenham. Ich habe nur Urlaub wegen der Krönungsfeierlichkeiten, und den habe ich schon verlängert, weil Vater so viel zu tun hat. Nächste Woche bin ich wieder hier, da ist das Trimester zu Ende. Aber dann sind Sie ja schon fort.« Sie löst sich vom Kartenschrank und macht einen Schritt auf ihn zu. » Ich hasse das College«, sagt sie, » aber im September beginnt mein letztes Jahr dort. Das muß ich noch durchstehen, schon Vater zuliebe.«
    Herrgott, morgen reist sie schon ab! Jähe Sehnsucht packt ihn. Was kann er nur tun, um sie wiederzusehen? Aber er sieht nicht die geringste Möglichkeit. Er kann ihr ja nicht gut ins College folgen.
    Sie sieht ihn forschend an und fragt: » Möchten Sie eine Tasse Tee mit mir trinken? Ich habe vorhin welchen gemacht, ich hole ihn rasch!« Seiler zögert, er möchte ihr keine Umstände machen, aber sie ist schon auf der Treppe und ruft über die Schulter: » Setzen Sie sich! Bin gleich wieder da!« Er nimmt also auf dem kleinen Sofa Platz und rückt ganz in die Ecke. Wird sie sich neben ihn setzen? Eine andere Sitzgelegenheit gibt es hier nicht, außer vielleicht der kleinen Klappleiter.
    London, Petermans Bookshop, 5. Juli 1911, Mittwoch
    Vivian stellt ihre Tasse zurück auf die kleine Klappleiter, die sie als Teetischchen ans Sofa gerückt hat, da fällt ihr Blick auf die kleine Wanduhr neben der Hintertür. » Goodness!«, ruft sie. » Schon halb eins! Vater wird bald zurück sein!«
    Seiler erhebt sich sofort: » Ich habe Sie aufgehalten! Wie gedankenlos von mir!«
    Sie schüttelt den Kopf: » Aber nein, keineswegs! Ich fand es sehr interessant, mit Ihnen zu plaudern!«
    Er sagt verlegen, und das amüsiert sie: » Ja, mir hat es auch sehr gefallen! Aber jetzt muß ich mich sputen, ich darf den Attaché nicht zu lange warten lassen.«
    Wahrscheinlich hätte er schon vor zwei Stunden wieder in der Botschaft sein sollen, denkt Vivian. Man wird ihn fragen, was er so lange getrieben hat. Sie erhebt sich mit einer geschmeidigen Bewegung und steht so nahe vor ihm, daß sie den Duft seines Rasierwassers riechen kann.
    » Gehen wir hinauf«, sagt sie, » ich muß den Laden wieder aufmachen, sonst wird Vater ärgerlich.« Er folgt ihr auf die Treppe, und sie spürt seinen Blick im Rücken. Was er wohl denkt?
    Oben schließt sie die Tür auf, nimmt das Closed -Schild ab und legt es beiseite. Dann sieht sie ihn an. Sie spürt, wie ihre Wangen warm werden. Hoffentlich merkt er es nicht, denkt sie und sagt schnell: » Dann werden wir uns wohl nicht wiedersehen.« Sie versucht, ein gleichgültiges Lächeln aufzusetzen. Irgendwie macht er sie unsicher. Diese seltsame Mischung aus Scheu und Männlichkeit.
    Da räuspert er sich endlich: » Leben Sie wohl, Miss Vivian!« Sie sieht ihm an, daß er noch etwas sagen möchte, aber dann sagt er nur: » Good-bye!«, läßt ihre Hand los, die er ein wenig zu lang gehalten hat, wendet sich ab und geht davon. Sie schaut ihm nach, bis er vorn an der Charing Cross um die Ecke biegt.
    Nicht einmal hat er sich nach ihr umgedreht. Schade, daß sie sich
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