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Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)

Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)

Titel: Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
Autoren: Gerhard Seyfried
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blauen Himmel ragt, und bezieht wieder seinen Posten, diesmal jedoch am Fuß der Säule. Von hier aus kann er sowohl den Eingang zu den Räumen des Botschafters als auch zu den Büros sehen.
    Er zündet sich eine Zigarette an, bläst eine Rauchwolke in die warme Luft und überlegt. Hat der Deutsche in dem Bookshop für sich selbst eingekauft, oder war es im Auftrag des Attachés? Das wäre allerdings seltsam, denn für derlei Botengänge verfügt die Botschaft doch über Diener. Und abgesehen davon würde jeder Buchhändler für einen solch hochgestellten Kunden ins Haus liefern. War dieser Buchkauf, falls es überhaupt ein solcher war, nur ein Vorwand? Ich sollte mir diesen Peterman und seinen Bookshop einmal genauer ansehen.
    London, Deutsche Botschaft, 8. Juli 1911, Samstag
    » Seiler«, sagt Korvettenkapitän Wilhelm Widenmann, » wir müssen Ihren Aufenthalt hier verlängern, um einen Monat, vielleicht sogar mehr.«
    » Jawohl, Herr Kapitän!«, antwortet Seiler, denn etwas anderes kommt nicht in Frage, wenn ein Vorgesetzter etwas anordnet. Er zögert einen Augenblick und fügt hinzu: » Bitte Herrn Kapitän gehorsamst darauf aufmerksam machen zu dürfen, meine Rückkehr zur Flottille in Kiel ist für Dienstag, den 11. Juli, vorgesehen.«
    Der Marineattaché nickt knapp: » Weiß ich. Flottillenchef wird informiert, keine Sorge. Aber jetzt geht es hier um Wichtigeres.« Er senkt die Stimme ein wenig: » Heute morgen die Zeitung gelesen? Rede von Asquith, gestern vor dem Unterhaus?«
    Herbert Henry Asquith ist der britische Premierminister, das weiß Seiler natürlich.
    » Nein, Herr Kapitän.«
    » Na, denn passen Sie mal auf: Asquith hat vor dem Unterhaus erklärt, die Entsendung des deutschen Kanonenbootes Panther nach Marokko habe eine Situation geschaffen, die auch britische Interessen berühre. Man werde Sorge tragen, diese Interessen gebührend zu berücksichtigen, und im übrigen werde man ohne Wenn und Aber zu den Bündnisverpflichtungen Frankreich gegenüber stehen.«
    Widenmann blickt Seiler scharf an: » Wissen Sie, was das bedeutet?«
    » Nein, Herr Kapitän, nicht genau.«
    » Dann will ich es Ihnen erklären. Vorgeschichte: Im Mai sind die Franzosen in Fes einmarschiert. Fes ist die Hauptstadt von Marokko und Sitz des Sultans. Grober Verstoß gegen den Vertrag von Algeciras, der Marokko Souveränität zusichert. Signatarmächte außer Marokko Frankreich, das Deutsche Reich, Österreich-Ungarn, Italien, Großbritannien, Spanien, Portugal, USA und noch ein paar. Keine ist unterrichtet worden. Prompt haben sich die Spanier gedacht, was die Franzosen können, können wir auch, und haben ebenfalls Truppen gelandet, um sich ein Stück vom Kuchen abzusäbeln. Franzosen und Spanier haben zusammen jetzt hunderttausend Mann dort stehen.«
    Widenmann steht auf und tritt ans Fenster. Mit dem Rücken zu Seiler fährt er fort: » Das Reich schickt also ein Kanonenboot hin, um deutsche Interessen zu schützen und höflich anzudeuten, daß wir, als Mitunterzeichner der Algeciras-Akte, uns auf den Schlips getreten fühlen, wenn Frankreich sich Marokko einverleibt, ohne sich um die Vereinbarungen zu scheren.«
    Im Clock Tower am Palace of Westminster schlägt Big Ben an, die größte Glocke im Turm. Neun Uhr vormittags. Das Fenster, vor dem der Attaché steht, blickt auf den Horse Guards Parade Ground hinaus, und Seiler weiß, dort findet jetzt die stündliche Wachablösung statt, eine Zeremonie, zu der sich jedesmal Hunderte von Schaulustigen einfinden.
    Widenmann sieht eine Weile schweigend zu. Dann wendet er sich mit einem Ruck um und sagt zornig: » Kanonenboot! Lachhaft! Wen soll das beeindrucken?« Etwas ruhiger fährt er fort: » Hat man in Berlin auch begriffen, wenn auch spät, und einen Kreuzer nach Agadir in Marsch gesetzt.«
    » Jawohl, Herr Kapitän.«
    » Will mir gar nicht gefallen, wie sich die Briten in der Angelegenheit verhalten. Franzmann pfeift auf die Algeciras-Akte, schnappt sich Marokko, und Asquith droht: Wehe, ihr tut ihm was! Tut so, als hätten wir schon den Krieg erklärt. Hat natürlich kein Mensch vor.«
    Er kehrt zu seinem Schreibtisch zurück, setzt sich jedoch nicht, sondern bleibt dahinter stehen, die Fingerspitzen auf der grünen Schreibunterlage, und sagt: » Lage ist augenblicklich ziemlich gespannt. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß die Briten still und heimlich ihre Flotte mobilisieren. Wenn das nicht in der Zeitung steht, kriegen wir das doch gar nicht mit. Wir
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