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Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)

Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)

Titel: Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
Autoren: Gerhard Seyfried
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kommen nicht zur Ruhe. Vivian geht ihm nicht aus dem Sinn. Die junge Frau hat ihn so bezaubert, daß er kaum an etwas anderes denken kann. Sie ist erst siebzehn, weiß er jetzt, und wird noch bis zum Herbst 1912 auf dem College bleiben. Seit ihrer Begegnung im Keller des Buchladens hat er nicht mehr richtig geschlafen, ist stundenlang wach gelegen, schwankend zwischen Glück und Zweifeln. Sie ist die große Liebe seines jungen Lebens, da ist er sich ganz sicher, aber ob sie seine Gefühle erwidert, weiß er nicht. Gut drei Stunden haben sie im Keller miteinander geplaudert, das würde sie ja wohl kaum mit jemandem machen, der ihr nicht sympathisch ist. Hätte sie nicht diesen ersten Schritt mit dem Tee gewagt, sie hätten wohl kaum zueinandergefunden. Steif wie ein Stockfisch hat er neben ihr gesessen, voller Selbstzweifel, gehemmt von der Furcht, das zarte Flämmchen der Zuneigung, das zwischen ihnen glomm, zu ersticken. Der Gedanke daran läßt ihn beinahe stöhnen. Wie mutig sie war! Vielleicht hatte sie genauso viel Angst wie er, daß sie einander nicht mehr wiedersehen würden. Sie konnten ja beide nicht ahnen, daß er noch länger in England bleiben würde. Am liebsten würde er an der nächsten Station aussteigen, einen Zug zurück nehmen und sie bitten, ihn zu heiraten. Aber das geht natürlich nicht. Und mit seiner Zeit in England wird es früher oder später auch vorbei sein. Bald heißt es, zurück nach Kiel mit seiner glitzernden Förde, den langen Reihen der ankernden Kriegsschiffe, den rauchenden Schloten der Werften und Fabriken. Und zurück in die enge Röhre eines Unterseebootes, in der es immer feucht und kalt ist und die Luft kaum atembar vom betäubenden Petroleumdunst.
    Erst am 17. Januar dieses Jahres hatte er seinen Dienst bei der Unterseeboot-Flottille angetreten. Diesen Tag würde er nie vergessen. Gleich bei seiner Ankunft am frühen Morgen war er auf U 1 eingeschifft worden, das gerade zu einem Übungstauchen auslaufen wollte, zusammen mit U 3. Beide Boote hatten U-Schüler an Bord. Die Übungen fanden in der Kieler Förde statt, und zwar in der flachen Heikendorfer Bucht bei einer Wassertiefe von nur 12 bis 15 Metern. U 3 tauchte zuerst, während U 1 als Sicherung oben blieb. Sobald U 3 wieder an der Oberfläche erschienen war, wäre U 1 an der Reihe gewesen. Aber U 3 kam nicht hoch.
    Hier wird seine Erinnerung unterbrochen, der Zug hält in Guildford, ein Drittel der Strecke von London. Das Ehepaar verläßt das Abteil, aber es kommt niemand hinzu, obwohl auf dem Perron ein ziemliches Gedränge herrscht. Die Leute warten wahrscheinlich auf einen der langsameren Personenzüge. Vor dem Fenster preist ein Bauchladenverkäufer Zigarren und Zigaretten an, ein Zeitungsjunge drückt die Titelseite seines Blattes an die Scheibe, France and Germany to resume Talks lautet die Schlagzeile, und eilt schon weiter zum nächsten Abteil; ein Schild mit der Aufschrift Milk & Soda wandert über den Köpfen der Wartenden vorbei. Jetzt schrillen Trillerpfeifen, die Türen knallen zu, die Lokomotive stößt einen heiseren Warnpfiff aus, und der Zug ruckt an. Mit Gepolter geht es über Weichen, vorbei an einem rußigen Bahndepot mit Kohlenhaufen und Wasserkränen und hinein in einen Tunnel. In der jähen Schwärze glimmt trübe die Gaslampe im Abteil auf, der Lärm der Räder auf den Schienen steigert sich zu einem laut hallenden Dröhnen, Rauchgeruch dringt ins Abteil. Schlagartig wird es wieder hell, Bäume huschen vorbei, und schon geht es in den nächsten Tunnel, der aber nur sehr kurz ist. Hinaus ins grelle Sonnenlicht, der Zug donnert durch die kleine Station Arlington, und Seiler erhascht einen flüchtigen Blick auf den River Wey, auf weite Wiesen, auf einen sehr spitzen, kupfergrünen Kirchturm über Baumwipfeln.
    Er setzt sich bequemer zurecht und verschränkt die Arme. Seit ihrem Abschied am Mittwoch hat er Vivian nicht wiedergesehen. Sie kam ihm so gelassen vor, blickte ihn ruhig an mit ihren schönen, blaugrünen Augen, während er ihre Hand hielt, viel zu lange vermutlich, und vergebens nach ein paar Worten suchte, um auszudrücken, was er für sie empfand. Und wie gerne hätte er sie zum Abschied geküßt!
    Aber er war davongegangen, ohne sich umzusehen, denn in diesem letzten Augenblick mit ihr hat ihn ein Gefühl der Einsamkeit überwältigt, das er so noch nie erfahren hat. Es hat ihm die Kehle zugeschnürt, und eine Welle der Rührung, oder war es Selbstmitleid, ist in ihm aufgestiegen. Er
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