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Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Titel: Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
Autoren: Charlotte Link
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und die steinerne, moosüberwachsene Mauer am Wald, auf der man wie an keinem anderen Platz der Erde sitzen und träumen konnte.
    Und zwischen den Büschen und Bäumen, zwischen Hecken und Dornen sah sie immer wieder das Schloß selbst auftauchen. Es stand so unverändert wie eh und je, seine grauen Mauern ragten ein wenig baufällig in den Abendhimmel, aber der wilde Wein, der an ihnen emporkletterte, leuchtete, und in den Fenstern spiegelte sich die rötliche Sonne.
    Natürlich hatten zwölf Jahre Verlassenheit Heron Hall nicht
unberührt gelassen. Zu Anfang war manchmal ein Gärtner hiergewesen, der sich um den Park kümmerte, aber später hatte niemand mehr, auch Joanna nicht, so recht daran gedacht, und Heron Hall und seine Gärten verwilderten. Auf den Wegen wuchsen Disteln und Brennesseln, die Wiesen vermoosten und waren übersät mit Löwenzahn und anderem Unkraut, alle Büsche wucherten ungehemmt über Zäune und Mauern hinweg, und der einst klare Bach floß nicht mehr leise plätschernd über helle Kieselsteine, sondern stand als unbewegliches, dunkelgrünes, von Algen durchzogenes Gewässer, an dessen Rand Frösche saßen und nach Fliegen schnappten. Es gab keine Blumenbeete mehr, sondern nur ineinander verschlungene Rosenranken, durchsetzt mit Brombeerhecken, in deren Schatten winzige wilde Erdbeeren wuchsen. An manchen Stellen des Parks hatte es früher Lauben gegeben, mit weißen Marmorbänken, jetzt gab es nur noch undurchdringliches Gestrüpp und wahre Brennesselwälder, zwischen denen schwach weißes, zerbrochenes Gestein hervorleuchtete, mit dem grünlichen Schimmer von jahrealtem Moos überzogen.
    Es tat Joanna nicht weh, Heron Hall so zu sehen. Sie wußte, es würde wieder so werden wie einst, sie würden den Park in Ordnung bringen und im Haus den Staub fortwischen, der über allen Möbeln lag, sie würden Feuer in den Kaminen anzünden und morgens im Salon frühstücken, dessen Tür zum Garten ging und in den immer der Seewind so kühl und frisch hineinwehte. Er sollte den modrigen Geruch verjagen und Heron Hall wieder zu einem lebendigen Schloß machen. Es konnte kaum lange dauern, dann sah alles so schön und gepflegt aus wie in früheren Jahren. Joanna fand, nichts an der Atmosphäre habe sich verändert. Als sei sie keinen Tag fort gewesen, so vertraut schien ihr jeder Stein unter ihren Füßen.
    Beinahe war es ihr, als müsse jeden Augenblick Agatha herbeieilen und ärgerlich schimpfen, weil es schon viel zu kühl war, um noch herumzuschlendern, und dann müßte sie Elizabeth und sie mit tausend Lockungen und Versprechungen ins Haus führen.

    Aber natürlich, Agatha hätte Lady Joanna Gallimore keine Vorschriften mehr gemacht, auch wenn sie vielleicht wirklich, alt und gebeugt, mit ihrem schneeweißen Haar und freundlichen blauen Augen an einem der Fenster stünde und leise auf die Unvernunft der jungen Herrin schimpfte, die sich da draußen noch den Tod holen würde. Und Elizabeth war nicht da. Elizabeth war in Ligny, drüben auf dem Kontinent, wo ganz langsam nach Jahrzehnten von Sturm und Grauen, von Revolution, Krieg und Unterwerfung wieder Friede einkehrte. Alles, was Joanna von ihr hatte, war ein Brief, den heute ein Bote aus King’s Lynn gebracht hatte und den sie nun schon den ganzen Tag über mit sich herumtrug. Auch jetzt zog sie das zusammengerollte gelbliche Pergament mit dem aufgebrochenen Siegel der Sevignys wieder aus der Tasche ihres Kleides hervor und sah es an. Sie mußte die Augen zusammenkneifen, wenn sie die Schrift noch erkennen wollte, denn inzwischen war die Sonne ganz untergegangen und erhellte nur noch einen Streifen am Horizont im Westen.
    »Liebe Joanna«, begann er, »ich war so überrascht und bestürzt, als John und ich aus Paris zurückkehrten und Johns Kusine Hortense uns berichtete, Du seiest in unserer Abwesenheit hiergewesen, und mit Dir George und Belinda und sechs schreckliche, verzogene Kinder! Überrascht war ich, weil ich nie im Leben geglaubt hatte, Du könntest einmal nach Ligny kommen, und schon gar nicht in diesen Zeiten, bestürzt, weil ich nahezu alles gegeben hätte, Dich zu sehen, und dann mußten wir uns doch verfehlen. Hortense gab mir die Nachricht, die Du für mich hinterlassen hast. O Joanna, es tut mir so leid, daß Edward gefallen ist. Ich verstehe zwar nicht ganz, warum er gerade jetzt nach Brüssel kommen mußte und sich dann noch in Quatre Bras herumtrieb, aber wie auch immer, es tut mir so leid!«
    Jeder glaubte, Edward sei
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