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Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Titel: Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
Autoren: Charlotte Link
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sinken. Die letzten Zeilen hatte sie mehr geahnt als gelesen, so tiefdunkel wurde es nun. Sie merkte, daß sie fror, und zog ihren Schal fester um die Schultern. Wenn sie ins Haus kam, würde Harriet ihr einen langen, jammernden Vortrag über Erkältungen halten, und Agatha würde ihr einen scheußlichen Gesundheitstee brauen. Sie lächelte bei dem Gedanken daran und schrak gleich darauf zusammen, als eine Gestalt auf sie zugeeilt kam und vor ihr stehenblieb.
    »Oh, hier bist du, Joanna!« Es war Belindas Stimme, und gleich darauf flutete auch ihr aufdringliches Parfüm über Joanna hinweg. »Lady Harriet bat mich, dich zu suchen. Aber ich muß sagen, du hast dich wirklich in den tiefsten Winkel des Parks verkrochen!« Joanna ließ unauffällig den Brief in die Tasche ihres Kleides zurückgleiten. Belinda brauchte ihn nicht zu bemerken, sie würde sonst doch nur so lange bohren, bis sie ihn lesen durfte.
    »Ach Belinda, ich wußte gar nicht, daß du heute kommst!«
    »Aber Lady Harriet hat meine Mutter und mich zum Dinner eingeladen, wußtest du das wirklich nicht?«
    »Doch — ich hatte es vergessen«, bekannte Joanna, »es tut mir leid. Sind... deine Kinder auch da?«
    »Ja, alle. Sie warten schon auf dich. Komm mit ins Haus!« Sie ergriff Joannas Arm und zog sie mit sich fort. »Weißt du«, meinte sie, »nach allem, was wir erlebt haben, hätten wir eine Ablenkung verdient, findest du nicht? Ich dachte mir, daß wir beide im Oktober nach London reisen und dort den Winter verbringen könnten.«
    »Nein, nicht schon wieder, Belinda. Diesmal geht es wirklich nicht. Wir sollten hierbleiben. Ich glaube auch, keine von uns könnte den Trubel in London genießen.«
    »Da hast du recht«, sagte Belinda betroffen, »aber wenn wir hierbleiben, dann können wir uns jeden Tag sehen, nicht wahr? Ich bin jetzt so allein, Joanna, ich brauche dich!«
    »Natürlich können wir uns sehen. Wir haben doch beide einen
schweren Verlust erlitten.« In Joannas Stimme klang amüsierte Ergebenheit. Die Welt mochte in Stücke brechen, Kriege konnten toben und einst unbesiegbare Eroberer ihren rauschenden Untergang erleben — Belinda würde jeden Tag ihres Lebens gleich bleiben, unveränderlich und vollkommen ungebrochen. Zum ersten Mal fand Joanna, daß in dieser Tatsache sogar etwas Tröstliches lag. Sie lauschte der gleichmäßig plätschernden Stimme neben sich und vernahm bei jedem Schritt das zarte Knistern des Briefes in ihrer Tasche. Sie traten auf die Wiese, und vor ihnen stand Heron Hall. Aus seinen Fenstern fiel das weiche Licht der Kerzen hinaus in die Dunkelheit.



 
     
    32. Auflage
Taschenbuchausgabe April 1989
    Copyright © 1986 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
    Umschlagmotiv: W. Huber
Lektorat: Silvia Kuttuy-Walser
BH · Herstellung: Peter Papenbrok/sc
    eISBN 9783641051822
     
    www.goldmann-verlag.de
    www.randomhouse.de
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