Verborgene Lust
aufzugeben.« Vielleicht hat sie recht. Vielleicht ist ihre Liebe so großartig, dass Maria nicht gehen sollte. Kann sie Felix’ Geliebte sein?
»Maria«, fleht Felix, »verlass mich nicht.«
Doch Maria kann nicht teilen. Felix liebt sie, aber er liebt auch noch Mathilde. Das beweist der offene Hass, den er seiner Frau gegenüber empfindet. Wie abweisend Felix Mathilde vor anderen behandelt, seine Unfähigkeit, ihr zu vergeben – schließlich hat seine Frau aus Liebe zu ihm gehandelt –, diese Seiten ihres Geliebten ängstigen Maria. Seine Leidenschaft teilt sich zwischen den beiden Frauen auf. Maria würde stets alles tun, um ihm zu gefallen, und Angst haben, dass er ihrer überdrüssig wird und sie wegschickt. Sie hat Angst, dass seine Liebe sich in Hass verwandelt wie bei Mathilde. Und was wird dann aus ihr? Einer gescheiterten Tänzerin und gefallenen Frau?
Irgendwie schafft Maria es wegzugehen. Sie will jetzt nur noch nach Hause. Nach Venedig. Sie verspricht Vivienne, eines Tages nach New York zu kommen, aber fürs Erste braucht sie ihre Mamas.
In jener Nacht besteigt Maria den Zug nach Mailand. Wie ein Kind, das sich im Wald verlaufen hat, weint sie den ganzen Weg von Paris nach Mailand zusammengerollt in ihrem Sitz. Sie kann Felix’ Gesicht nicht vergessen, seinen Blick, als sie sich von ihm abgewandt hat. Er hat sich in ihr Herz gebrannt. Unverständnis, gefolgt von absoluter Niedergeschlagenheit. Er hatte gedacht, sie würde ganz ihm gehören. Und doch war er nicht hinter ihr hergelaufen. Dass er nicht versucht hat, sie aufzuhalten, sagt Maria, dass sie recht hat. Er liebt sie, aber nicht genug. Er war der Mittelpunkt ihrer Welt, aber sie war nie der Mittelpunkt seiner.
Maria kehrt in den Kleidern nach Venedig zurück, die sie am Leib trägt. Wie eine Narbe sitzt ihre Liebe zu Felix auf ihrem Herzen. Sie wird nie jemandem erzählen, wie kurz sie davor war, seine Geliebte zu werden. Nicht ihrer freigeistigen Mutter Belle, nicht ihrer geliebten Pina und in den kommenden Jahren nicht ihrem Ehemann und auch nicht ihrer Tochter. Sie erzählt niemand, dass sie einst eine Tänzerin war, die ihre Berufung für die Liebe zu einem verheirateten Mann aufgegeben hat. Sie hat ihr Herz gesetzt, und sie hat verloren.
Maria bleibt in Venedig. Zwei Wochen nachdem sie zurückgekehrt ist, schreibt Jacqueline ihr, dass Lempert ihr anbietet, an die Schule zurückzukehren, aber Maria lehnt das Angebot ab. Sie könnte nie zurück nach London gehen. Was, wenn sie Felix begegnet? Wenn sie ihn noch einmal sähe, könnte sie für nichts garantieren, denn tief im Inneren bedauert sie ihre Entscheidung. Vor allem könnte sie es nicht ertragen, wenn er sie nicht mehr liebte. Denn eines Tages wird seine Liebe für sie enden, oder? Doch manchmal kehrt die Liebe auf die seltsamste Weise zu uns zurück. Sechs Wochen nachdem Maria aus Frankreich heimgekehrt ist, genau an dem Tag, an dem sie sicher weiß, dass sie schwanger ist, tritt Guido Rosselli wieder in ihr Leben. Der junge Italiener hat von Jacqueline gehört, dass Maria nach Venedig zurückgekehrt ist. Er hat sie nicht vergessen. Denn Guido hatte sich gleich am ersten Tag in Maria verliebt, als er mit zitternden Händen Kaffee für sie gekocht hat. Obwohl sie mit Felix durchgebrannt war, hat er nicht aufgehört, sie zu lieben. Er wirft dem Franzosen vor, sie verdorben zu haben, aber er verurteilt Maria nicht dafür. Er sieht, wie rein sie ist, und diese Reinheit macht sie so schön für ihn. Seine Liebe für Maria ist so groß, dass es ihn nicht stört, dass sie einen anderen Mann geliebt hat. Guido macht Maria eifrig den Hof. Zuerst zeigt sie sich gleichgültig. Doch im Laufe der Wochen gewöhnt sie sich an seine Gesellschaft. Er scheint schon glücklich zu sein, wenn er mit ihr in einem Boot den Canale Grande hinunterfährt, ohne dass einer von ihnen etwas sagt. Er berührt sie nicht, er versucht nicht, sie mit schönen Worten zu gewinnen. Er wartet einfach.
Eines Tages, ungefähr drei Wochen nach Guidos Ankunft in Venedig, hat Maria das Gefühl, ihm sagen zu müssen, dass seine Aufmerksamkeiten vergebens sind.
»Guido«, beginnt Maria, während er sie den Kanal hinunterrudert und sie mit wie üblich ruhelosem Herzen das Treiben am Ufer verfolgt. »Ich muss dir etwas sagen.«
»Gut«, antwortet er. Er hält die Ruder still und hebt sie ins Boot, wo sie zu ihren Füßen tropfen.
Maria wendet ihm ihr Gesicht zu und ist überrascht, dass Guido in ihren Augen nicht mehr so
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