Verborgene Lust
sich anders an: weniger leidenschaftlich, eher friedlich. Sie geht an Notre-Dame vorbei, überquert die Seine und gelangt in die schmalen Straßen von Saint-Germain-des-Prés.
Madame Paget sitzt nicht hinter ihrem Tresen. In der Lobby stehen neue Gäste und betätigen die Klingel: zwei junge Mädchen, vermutlich in Marias Alter, plappern aufgeregt am Beginn ihres Pariser Abenteuers. Sie möchte die beiden warnen. Verliert nicht euer Herz im Labyrinth dieser Stadt, ihr werdet es nie wiederfinden. Doch dann geht sie mit gesenktem Kopf an ihnen vorbei, ohne dass die zwei sie bemerken.
Heute Morgen nimmt Maria die Treppe. Sie kann nicht den Aufzug benutzen, er erinnert sie zu sehr an die berauschenden Nächte und daran, wie sehr sie Felix noch immer liebt.
Das Hotelzimmer ist unverschlossen, und schon bevor sie die Tür öffnet, bevor sie eintritt, weiß sie, dass Felix dort auf sie wartet.
Sie stehen einander gegenüber. Felix hält seinen Hut in den Händen und starrt sie durchdringend an. Maria folgt mit dem Blick dem Umriss seines Gesichts, betrachtet seine warmen braunen Augen, seine dichten schwarzgrauen Haare und die Geschichte, die sein Gesicht erzählt. Sie versucht, sich seine Züge einzuprägen.
Er spricht als Erster. »Wo bist du gewesen, Maria? Warum bist du weggelaufen?«
Sie antwortet ohne Umschweife: »Ich habe euch zusammen gesehen, Felix.« Sie drückt ihre Tasche an die Brust, als wollte sie ihr Herz schützen. »Ihr habt Arm in Arm in einem Bett geschlafen.« Sie schnappt kurz nach Luft. Sie möchte ruhig und kontrolliert wirken, doch ihre Gefühle drängen nach außen. Sie will nicht, dass er sieht, wie verletzt sie ist.
»Aber, Liebling, wir haben nur geschlafen«, versichert er.
»Ja, aber in einem Bett.«
»Mathilde hatte einen Albtraum. Ich habe mich zu ihr gelegt, um sie zu beruhigen, und muss ebenfalls eingeschlafen sein.«
»Du hast mit ihr unter einer Decke gelegen, Felix.«
»Nun, ich habe mich ins Bett gelegt«, erwidert er fast etwas gereizt. »Ich war müde.«
Maria starrt ihn wütend an.
»Es ist nichts passiert«, erklärt Felix mit Nachdruck. »Das musst du mir glauben.«
Maria glaubt ihm. Trotzdem stört es sie. Sie kann die Vorstellung nicht ertragen, dass er mit Mathilde das Bett geteilt hat. »Ich dachte, du hasst sie. Warum legst du dich dann zu ihr ins Bett und tröstest sie?«, beharrt sie.
Er wendet den Blick ab und sieht aus dem kleinen Fenster ihres Liebesnests. »Ich hasse sie auch … manchmal …«, stammelt er. »Ich wünschte, sie hätte mich sterben lassen.«
»Weil du sie noch immer liebst«, beendet Maria den Satz.
Mit funkelnden Augen dreht er sich zu ihr um. »Als sie mit dem Deutschen geschlafen hat, um mir das Leben zu retten, da bin ich innerlich gestorben. Ich habe mich so geschämt für das, was sie getan hat. Es hat mir das Herz gebrochen, Maria. Es hat meine Liebe zu ihr in dieses zwiespältige Gefühl verwandelt. Ich kann mich nicht ganz von ihr lösen, aber ich verachte sie auch. Ich …« Plötzlich hält er inne, er bemerkt den Ausdruck auf ihrem Gesicht und dass sie sich langsam in Richtung Tür zurückzieht. Felix macht einen Schritt nach vorn und fasst ihre Hände. »Aber als ich dir begegnet bin, Maria, war alles anders. Auf einmal habe ich wieder etwas empfunden. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals wieder jemanden lieben könnte. Du hast diese Gefühle in mir ausgelöst. Außerdem …«
»Wie kannst du mich lieben, wenn du noch immer deine Frau liebst?« Marias Stimme zittert.
»Meine Gefühle für Mathilde sind anders. Es ist, als müsste ich mich um sie kümmern. Es ist meine Pflicht. Es existiert keine Leidenschaft mehr zwischen uns. Aber mit dir …« Er zögert und streicht sich die dichten Haare zurück. Maria sieht zu, wie sie wieder in seine Stirn zurückfallen. In Marias Augen hat er nie schöner ausgesehen als in diesem Moment. »Oh, mein Liebling«, stößt er überschwänglich hervor, »du hast mich so inspiriert. Trotz deiner Unschuld hast du mich in einer Weise berührt, die ich mir nie hätte vorstellen können.«
Er versucht, sie an sich zu ziehen, aber sie gibt nicht nach. Ihr Herz ist in Aufruhr. Sie weiß, was er meint: diese ungeheuerliche Leidenschaft. Wenn er mit der Hand ihre Wange berührte, wenn er sie küsste, würde er sie augenblicklich entfachen. Sie erinnert sich an Viviennes Worte von gestern Abend. »Die Liebe und die Leidenschaft wie zwischen dir und Felix sind zu selten, um sie leichtfertig
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