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Venezianische Verlobung

Venezianische Verlobung

Titel: Venezianische Verlobung
Autoren: Nicolas Remin
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vertäut, aber jetzt schlang er das dünne Tau, das am Bug des kleinen Ruderbootes befestigt war, nur zweimal um einen der beiden Pfähle, die den schmalen Steg trugen. Er rechnete nicht damit, dass er gezwungen sein würde, sich eilig zu entfernen, aber in dieser Situation war es besser, wenn er nicht erst einen Knoten lösen müsste. Es war praktisch windstill, und auch die immer noch steigende Flut würde nicht die Kraft haben, den sandalo abzutreiben.
    Der Steg knarrte, als er seinen Fuß auf die Holzplanken setzte. In der nächtlichen Stille kam ihm das Geräusch so laut vor wie Gewehrfeuer. Zu seiner Erleichterung war das Wassertor des Gebäudes nicht abgeschlossen, die Klinke ließ sich lautlos nach unten drücken. Er machte einen Schritt in den Flur, stieß hart mit seinem linken Knöchel gegen einen Haufen Ziegelsteine und hätte vor Schmerz fast laut aufgeschrien.
    Im Schein der Ölfunzel, die von der Decke hing, sah er r echts den schmalen Aufgang zum Treppenhaus und links,  ein paar Schritte von ihm entfernt, ihre Wohnungstür.
    Vor der Tür blieb er stehen, klopfte und wartete. Als  sich in der Wohnung nichts rührte, klopfte er erneut.
    Schließlich nahmen seine Ohren, die jetzt auf das leiseste Geräusch eingestellt waren, Schritte wahr, die sich langsam  der Tür näherten. Dann ging die Tür auf, er sah das Erstaunen auf ihrem Gesicht und dann den Schrecken und wie sie instinktiv von der Tür zurückwich. Sie tat es, noch während die Tür einwärts schwang, und damit war im Grunde alles entschieden.
    Hätte sie ihm in diesem Moment die Tür vor der Nase  zugeschlagen und laut um Hilfe gerufen, wäre für ihn alles sehr viel komplizierter geworden. Aber sie beschränkte sich darauf, ihn mit weit aufgerissenen Augen anzustarren, und der Schlag in ihre Magengrube, der sie ins Zimmer schleuderte und ihr die Luft nahm, hinderte sie am Schreien. Sie fiel polternd auf den Holzfußboden und stöhnte wie ein Tier in der Falle, das nicht mehr hoffte, sich befreien zu können. Er drehte sich um seine Achse, hob einen Fuß und trat die Tür hinter sich zu, wobei er sich so anmutig vorkam wie eine Tänzerin aus dem Ballett des Fenice.
    Sie lag auf dem Fußboden und hatte sich instinktiv zur  Seite gedreht. Jetzt konnte er ihre Angst riechen – ein säuerlicher Schweißgeruch, der sich mit dem Duft des Veilchenparfums vermischte, das sie benutzte. Sie keuchte leise, aber solange sie nicht schrie, würde niemand sie hören. Einen kurzen Augenblick erwog er, mit ihr zu reden, doch dann erinnerte er sich, warum er gekommen war.
    Er ging in die Knie und zog das Messer aus seinem Gürtel. Da zu befürchten stand, dass sie kreischen würde, wenn er ihr den Kopf nach hinten bog, um an ihre Kehle zu kommen, stieß er das Messer einfach in ihren Rücken.
    Dann drehte er sie um und riss ihr Kleid auf. Er legte seine Hand auf ihre Brust und spürte drei Herzschläge, unregelmäßig und schwach, wie Fische, die am Ufer zappeln. Als seine Daumen ihre Kehle zusammenpressten, um ihr den Rest zu geben, hörte er ein Geräusch an der Tür.

    Der Hof war kleiner, als sie erwartet hatte, ein längliches Viereck, umschlossen von hohen Fassaden, in denen ein paar erleuchtete Fenster zu sehen waren. Vor einer der  Wände zeichnete sich undeutlich ein zweirädriger Wagen  ab, wie Gemüsehändler ihn benutzen, daneben standen ein paar Fässer.
    Das Mädchen humpelte keuchend zu der Tür auf der  gegenüberliegenden Seite des Hofes, riss sie auf und stand in einem durch eine Ölfunzel spärlich erleuchteten Gang. Bevor ihre Netzhaut etwas registrierte, roch sie das Wasser am Ende des Flurs, den unverkennbaren Geruch faulenden Seetangs, der ihr lakonisch mitteilte, dass der Flur an einem Wassertor endete und sie in der Falle saß.
    Hastig wich sie weiter in den Gang hinein, stieß im  Dunklen mit der Hüfte an eine Klinke und drückte sie ohne nachzudenken nach unten. Die Tür ging widerstandslos auf. Sie schlüpfte in die Wohnung, ließ die Tür hinter sich in das Schloss gleiten. Noch während sie sich umdrehte, schloss sie die Augen, um zu lauschen. S chritte kamen näher, bewegten sich polternd den Flur  hinunter. Sie hörte, wie vier schwere Stiefel einen Moment lang am Wassertor verharrten und auf dem Rückweg wieder eine Armeslänge von ihrem klopfenden Herzen entfernt vorbeiliefen.
    Das Mädchen ließ seine Stirn an die Tür sinken und hol te tief Luft. Sie bemerkte, wie sich ihre Angst bereits in Befriedigung darüber
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