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Venezianische Verlobung

Venezianische Verlobung

Titel: Venezianische Verlobung
Autoren: Nicolas Remin
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noch nicht klar gewesen war, mit wem sie es zu tun hatte.
    Und als sie es erfuhr, machte es keinen Unterschied für sie.  Doch spätestens zu dem Zeitpunkt, als die mexikanische  Nationalversammlung ihn im Juni dieses Jahres zum Kaiser von Mexiko proklamiert hatte, lag es auf der Hand, dass er  ihre Beziehung beenden musste. Ein Skandal hätte alles  gefährden können.
    Maximilian hatte lange überlegt, auf welche Weise er  sich von ihr trennen sollte. Er war dann zu dem Schluss gekommen, dass ihm die Größe seiner Aufgabe (immerhin ging es um das Schicksal eines ganzen Kontinents) keine Gefühlsduseleien gestattete. Hier war eine radikale Lösung erforderlich gewesen, ein staatsmännisches Machtwort, das einen endgültigen Schlussstrich zog. Eine Lösung, die ausschloss, dass sie ihm nach der Trennung gefährlich werden konnte – notfalls auch eine brutale Lösung. Wenn er bereits zu einem so frühen Zeitpunkt sentimental wurde, hatte sich Maximilian gesagt, konnte er gleich einpacken …
    «Hat alles …» Er brach ab, wich dem Blick Schertzenlechners aus und räusperte sich. «Ich meine, ist alles ohne Schwierigkeiten …»
    Schertzenlechner verneigte sich, ohne eine Miene zu  verziehen. Er war ganz der pflichtbewusste Diener, der seinen Auftrag korrekt erfüllt hatte – obgleich dieser Auftrag den Rahmen seiner gewöhnlichen Pflichten ein wenig gesprengt hatte. «Es verlief alles zufrieden stellend, Majestät.»
    Maximilian fand das Wort «zufrieden stellend» in diesem Zusammenhang geschmacklos. Andererseits sprach aus Schertzenlechners Verhalten die Härte, die in der momentanen Situation dringend erforderlich war, und einen Augenblick lang bewunderte er ihn. Dass Schertzenlechner ihn mit Majestät ansprach, war nicht korrekt, denn noch hatte er den mexikanischen Thron nicht bestiegen. Aber Maximilian korrigierte diese protokollarische Übertreibung nie.
    Er genoss es, wenn Schertzenlechner ihn so titulierte. Dann fühlte er sich jedes Mal so … majestätisch.
    Er seufzte und tunkte vorsichtig sein Hörnchen in den  Milchkaffee, wobei er sich bemühte, nicht auf die weiße Tischdecke zu kleckern. Wenn Charlotte, seine Gattin und Tochter des Königs von Belgien, überraschend bei ihm aufkreuzte (womit man immer rechnen musste), würde sie  die Flecken bemerken und ihn mit einem ihrer missbilli genden Blicke bedenken, die bei ihm immer Magenkrämpfe auslösten.
    Maximilian biss von seinem Hörnchen ab und trank vorsichtig einen Schluck aus seiner Kaffeetasse. Dann fragte er, ohne Schertzenlechner in die Augen zu sehen: «Und sie hat keine Schwierigkeiten …»
    Schertzenlechner schüttelte den Kopf. «Nein, hat sie  nicht.» Er entblößte seine Zähne zu einem unangenehmen  Lächeln. «Es ging alles sehr schnell. Ich war höchstens fünf Minuten in ihrer Wohnung.»
    «Und es hat Sie niemand gesehen? Kein Nachbar? Kein  Passant?»
    Schertzenlechner schüttelte den Kopf. «Es war so neblig, dass man kaum die Hand vor Augen erkennen konnte, Kaiserliche Hoheit.»
    Maximilian machte immer noch ein skeptisches Gesicht.
    «Sie sind sicher, dass Sie keine Spuren hinterlassen haben?»
    Schertzenlechner erneuerte sein Lächeln. «Ganz sicher.»
    «Ich kann es mir nicht leisten, kompromittiert zu werden. Nicht im Moment.»
    «Ich weiß, Majestät.»
    Maximilian stieß ein heiseres Räuspern aus. Er fühlte  sich auf einmal völlig erschöpft. «Die Geier kreisen überall.»
    Schertzenlechner verbeugte sich. «Gewiss.»
    Bei dem Wort «Geier» musste Maximilian wieder an  Mexiko denken und daran, wie er und das Mädchen hin  und wieder über die Möglichkeit nachgedacht hatten, sie  mit in seine neue Heimat zu nehmen. Doch anstatt ein  Schiff in die Neue Welt zu besteigen und sich dort dank kaiserlicher Huld (sie hatten scherzhaft darüber gesprochen) in eine Gräfin von Guadalajara zu verwandeln, hatte ihr das Schicksal ein ganz anderes Los zugewiesen. Nein – korrigierte er sich. Es war nicht das Schicksal, das ihr dieses Los zugewiesen hatte. Er selber, sein eigener Befehl, hatte dazu geführt, und er konnte nur hoffen, dass …
    Maximilian schloss die Augen und spürte, wie die Panik  mit unzähligen kleinen Rattenzähnen an seinem Verstand  zu nagen begann. Die Geier, die ihn eben noch an ein raues Märchenland erinnert hatten, kreisten jetzt lauernd über ihm – vor einem Himmel, der aussah wie ein blutgetränkter Vorhang.
    Das Bild vor seinem inneren Auge war so intensiv, dass  Maximilian
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