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Venedig sehen und stehlen

Venedig sehen und stehlen

Titel: Venedig sehen und stehlen
Autoren: Krischan Koch
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Sommerlicht über dem Wattenmeer an der Nordsee. Ganz seltsam. Für einen Moment war alles eins. Schließlich war die Lagune von Venedig nichts anderes als ein kleines Wattenmeer. Als sich die Steuerruder ächzend hochstellten und die Maschine mit einem Ruck an Höhe verlor, sodass er auf einmal die einzelnen Wellen erkennen konnte, war alles wieder wie weggewischt. Er befand sich eindeutig im Anflug auf den Aeroporto Marco Polo.
     
    Er war von New York nach Mailand geflogen und von dort mit Alitalia in einer kleinen Fokker nach Venedig. Zu der Reise hatte sich Harry ziemlich spontan entschlossen. Er wollte sich schon immer mal im Guggenheim-Museum umsehen. Insbesondere interessierte er sich für Mirós »Sitzende Frau II«. Und die Sicherheitsvorkehrungen in der denkmalgeschützten Villa von Peggy Guggenheim am Canal Grande sollten angeblich nicht auf dem allerneusten Stand sein. Nachdem er einmal in ein Museum eingestiegen war, hatte Harry Gefallen daran gefunden und immer von einem weiteren Kunstcoup geträumt. Und Zoe war von dieser Idee regelrecht elektrisiert. Immer wieder hatten sie in den letzten Jahren davon geträumt, durch Südeuropa zu reisen. Ab und zu wollten sie dem einen oder anderen Museum einen kleinen Besuch abstatten: dem Picasso-Museum in Antibes, Dalí in Figueres oder eben der Guggenheim-Foundation in Venedig.
    Sie hatten in Hamburger-Delis in Midtown gesessen und sich ausgemalt, in verstaubten Grandhotels zu wohnen. In TriBeCa, in einem Kino mit Kord bezogenen Klappsesseln, hatten sie sich alte Filme von Fellini und Godard angesehen. Danach träumten sie davon, wie Mastroianni nachts auf einer Vespa über die Via Veneto zu fahren oder wie Belmondo und Anna Karina im offenen Alfa auf der Flucht die Côte entlang. Sie hatten sich vorgestellt, das Leben von amerikanischen Künstlern zu führen, die sich in Europa ihre eigene Moral erfanden.
    Und dann war Zoe vor ein paar Tagen zum Frühstück mit diesen Maklerangeboten angekommen. Verkaufsprospekte schrecklich netter Häuschen in den Vororten schrecklich netter kleiner Collegestädtchen in Connecticut oder im Staat New York.
    »Harry, you will love the countryside. «
    Er stellte sich weiß gestrichene Holzhäuschen mit einer weiß gestrichenen Veranda und einem Holzzaun vor. Die Broschüre des Maklerbüros aus Albany, N. Y., zeigte allerdings keine Fotos, sondern nur eine gezeichnete Skizze einer Hausansicht, vermutlich um den schlechten Zustand ihrer Verkaufsobjekte zu verschleiern.
    »Hier unten müssten wir natürlich alle Wände herausreißen!«, ereiferte Zoe sich. »Harry, schau dir wenigstens den Grundriss mal an! Und oben wäre Platz für ein Kinderzimmer.« Sie sah ihn prüfend an.
    »Zoe, du bist Anfang zwanzig. Willst du es dir jetzt schon gemütlich machen? Kinder schaukeln, Quilts nähen und Blueberrycakes backen?«
    Harry hatte sich trotzig eine Chesterfield angezündet.
     
    Im Gegensatz zu dem nächtlichen Transatlantikflug von J. F. K. nach Mailand, bei dem die meisten bei »Stirb Langsam 2« im Bordkino in ihren Wolldecken friedlich eingenickt waren, waren die Passagiere der kleinen Focker beim Anflug auf Venedig regelrecht aufgekratzt, mal abgesehen von dem schnarchenden Russen.
    Zwei ältere Amerikanerinnen, beide vollständig in Rosa – eine hatte sogar rosa Haare – zeigten sich gegenseitig Tintoretto-Bilder in einem Kunstreiseführer.
    »Is’t that beauuutiful?«
    »Yeah, maaagical! « Dabei riss die mit der rosa Frisur ihren selbstverständlich ebenfalls grell rosa geschminkten Mund auf, als könnte sie kaum glauben, was sie da sah.
    Ein niederländischer Junge vor ihm zeigte aufgeregt auf das sich knarzend aufstellende Querruder der Maschine und sagte zu seinem blonden Vater einen Satz, aus dem Harry mehrfach das Wort »dat« heraushören konnte. Und dann war da diese Frau, die im Gang gegenüber saß. Sie hatte eine wilde schwarze Mähne und trug einen schwarzen Hosenanzug aus Leinen und eine große Sonnenbrille, deren grünliche Tönung nach unten hin heller wurde. Vor allem fielen ihm ihre Schuhe auf. Es waren schwarze Westernstiefel mit Absatz und einer dicken Schnalle, durch die ein nietenbesetzter Riemen lief. Als sie direkt neben seinem Sitz mit dem Rücken zu ihm zwei große Einkaufstüten eines Mailänder Modehauses im Gepäckfach verstaute, musste er ihr einfach auf den Hintern gucken. Er hatte gar keine andere Möglichkeit. Ihr Parfüm roch nach Kokos und Limone.
    Während des Fluges hatte Harry immer
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