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Venedig sehen und stehlen

Venedig sehen und stehlen

Titel: Venedig sehen und stehlen
Autoren: Krischan Koch
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»Tonights-the-Night«-Album aus dem Kassettenrecorder. Und wenn das Gerät zwischendurch etwas leierte, dann wimmerten Neil Young und die Bottleneck-Gitarre noch ein bisschen mehr.
    »The perfect Neil Young sound« , sagte Harry, dessen Englisch schnell besser wurde. Vor allem hörte er auf zu stottern. Wie von selbst. Eigenartig. Im Englischen stotterte er nicht mehr.
     
    Das Flugzeug verlor noch einmal deutlich an Höhe und flog durch ein luftiges Wölkchen hindurch. Auf einmal tauchte aus der diesigen Hitze verschwommen, aber klar zu erkennen, der Campanile auf. Harry meinte die Piazza San Marco zu erkennen und mehrere andere Türme: Santa Maria della Salute, San Giorgio Maggiore. Er war sich im Augenblick nicht sicher, ob er das richtig zuordnen konnte. Dazwischen, nur angedeutet, das große seltenverkehrte »S«, mit dem der Canal Grande seinen Bogen durch die Stadt schlug.
    Auch der Russe war mit einer Mischung aus Schnarcher und Rülpser wieder aufgewacht. Er würdigte Harry keines Blickes und machte sich lautstark über die Bonbons, die traurigen Reste aus seinen beiden Alitalia-Snacktüten her. Die beiden Ladys in Rosé hatten sich schweren Herzens von ihren Tintorettos getrennt. Der niederländische Junge zeigte aus dem Fenster und sagte noch mal einen Satz mit »dat« . Die Italienerin stopfte die Einzelteile ihrer Zeitung in die Gepäcktasche vor sich.
     
    Als die Fokker jetzt zur Landung ansetzte und auf die ins Wasser reichende Rollbahn aufsetzte, tat es Harry schon wieder leid, dass er so überstürzt abgereist war. Dieser Streit, den sie hatten, war ganz sicher kein Grund, sich ins nächste Flugzeug zu setzen und einfach nach Europa abzuhauen. Diese letzten Jahre mit Zoe in New York waren die glücklichsten seines Lebens gewesen.
    Zoe hatte ihn befreit. Aber in diesen letzten Wochen hatte er sich auf einmal ein bisschen eingesperrt gefühlt. Erstmals in seiner New Yorker Zeit hatte er das Bedürfnis, allein zu sein. Er musste daran denken, wie es war, unabhängig zu sein, während seiner Studienzeit und der kurzen erfolglosen Zeit als Maler. Warum hatte er es mit der Malerei nicht weiter versucht? Warum war er jetzt mit Anfang Dreißig nicht ein erfolgreicher Maler in Deutschland – wie sein Studienkollege Albrecht Ahlen. Zum ersten Mal ging Zoe ihm auf die Nerven – mit ihren blöden Maklerprospekten mit den stümperhaften Zeichnungen alter Holzhäuser, auf die sie auf einmal abfuhr.
    »Darling, ich will nicht leben wie in einem James-Stewart-Film aus den 30ern«, nölte er.
    »Wir leben auf dem Lande«, schwärmte sie unbeirrt weiter. »Du malst wieder und ich telefoniere mit Galeristen. Wir leben wie Jackson Pollock und Lee Krasner auf den Hamptons.«
    »Und dann fetzen wir uns wie die Pollocks, bis wir uns gegenseitig umbringen.«
    »Wir sind ja schon auf dem besten Wege dahin«, sagte sie bockig.
    Sie hatten schon öfter kleine Streits gehabt. Aber eigentlich war es nie um etwas gegangen. Bisher hatten sie nur ihre Territorien etwas abstecken müssen, hatte Harry den Eindruck. Aber diesmal war es anders. Irgendwie bekam er auf einmal Panik. Das erste Mal kam es ihm seltsam vor, dass er aus seinem bisherigen Leben geflohen war und in den Staaten jetzt eine vollkommen neue Existenz begonnen hatte. Auf einmal fehlten ihm seine Wurzeln. Kurz hatte er sogar daran gedacht, seine Mutter ausfindig zu machen, zu der er seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte und die angeblich wieder in Hamburg lebte. Oder er könnte seinen alten Kumpel Ingo Warncke mal anrufen, seinen Mitbewohner in der schäbigen Studentenwohnung mit der päkigen Küche in St. Pauli. Beides hatte er aber sofort wieder verworfen. Die Sehnsucht nach seiner Yogitee trinkenden Althippie-Mutter und dem verhinderten Stargitarristen Ingo hielt sich in Grenzen.
    Aber wenigstens wollte er mal wieder nach Europa reisen – und eigentlich zusammen mit Zoe. Sie hatte ihm New York gezeigt, alles geboten und alles organisiert. Harry hatte das einfach so akzeptiert und genossen. Doch eine echte Wahl hatte er nie gehabt. Sie hatte ihn einfach in ihr Leben integriert. Jetzt sollte Zoe sich mal auf ihn einlassen, auf seine Vergangenheit. Nach Deutschland konnte er schlecht zurück. Womöglich wurde er dort gesucht, wenn auch mit falschem Namen, aber das Risiko wollte er nicht eingehen. Wenn schon nicht Hamburg, dann wenigstens Venedig. Ein paar Tage zuvor war ihm in Sam Liebermans kleiner Bibliothek ein Katalog mit Venedig-Ansichten von Canaletto in
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