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Venedig sehen und stehlen

Venedig sehen und stehlen

Titel: Venedig sehen und stehlen
Autoren: Krischan Koch
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natürlich niemand geglaubt«, fügte Beat hinzu.
    Einen Moment stutzte Harry. Aber dann fiel es ihm ein. Hans-Dieter besaß mehr als nur einen Glaskarpfen. In seiner Wohnung hatte dasselbe Ding noch mal gestanden, türkis statt regenbogenfarben, wenn er sich recht erinnerte.
    Seine monströsen Glastiere waren dem Lateinlehrer also zum Verhängnis geworden. Wer sich solch grauselige Karpfen und Kröten ins Zimmer holte, hatte es nicht besser verdient, fand Harry. Er konnte sich dabei einer gewissen Schadenfreude nicht erwehren.
    Es war schon komisch, dachte er sich. Hans-Dieter hatte ja tatsächlich einen Mord begangen. Aber verhaftet worden war er für eine Tat, die nicht auf sein Konto ging. Es war ja nicht einmal Mord gewesen, nur ein dummer Unfall, der unglückliche Sturz eines Muranoglas-Karpfens vom Küchenschrank.
    »Wir alle hätten Hans-Dieter so etwas wirklich niemals zugetraut«, sagte Britt. »Am allerwenigsten sein kleiner Roberto. Aber der hat sich erstaunlich schnell getröstet, mit dem neuen Eigentümer dieser Werft auf der Giudecca, dem kleinen Bruder von Carlo Materazzi.«
    »Ihr wisst, das Atelier von Francesca«, erklärte Beat. »Hans-Dieter hatte es Roberto versprochen, und der hat es jetzt von einem anderen bekommen. Jetzt entwirft er dort seine Glaskreationen, oder?«
    »Dreimal dürft ihr raten, was der ganz große Renner bei den Touristen ist.«
    »Koi-Karpfen aus Muranoglas«, sagte Harry prompt.
    »In allen erdenklichen Farbkombinationen.«
    Zoe war jetzt ziemlich blass um die Nase.
    »Incredibile« , imitierte Britt Benning Giovanni-Dieters meckernden Tonfall. Dabei fuhr sie mit dem Zeigefinger an ihrem Kinn demonstrativ die imaginäre Linie seines Tennisballbartes entlang. Alle lachten, nur Zoe nicht.
    Sie stöhnte leise und machte ein schmerzverzerrtes Gesicht. Das Baby schien sich wohl doch nicht bis Silvester Zeit lassen zu wollen.
    Harry war alarmiert. »Zoe, was ist?«
    »Ich glaube, das sind jetzt echte Wehen. Harry, es geht los! Aber wirklich!«
    »Wann war die letzte Wehe?«, wollte Britt fachkundig noch wissen. Aber Harry sah Zoe nur kurz prüfend an, dann stürzte er zur Theke: »Toni, es geht los! Schnell ein Taxi. Zoe muss in die Klinik.«
    »Sì, sì, Harry, subito. « Toni wedelte mit den Armen. » Luigi, Dino, sono cominciate le doglie! Die Wehen haben eingesetzt!«, rief er in die Küche.
    »Toni, bitte, schnell ein Taxi«, rief Harry aufgeregt.
    »Sì, subito, mein Neffe ist Taxifahrer, er wird Zoe fahren. Michael, er ist der Beste. Believe me, Harry, er ist der Schnellste. Er bringt unsere Zoe rechtzeitig in die Klinik. Rapidissimo! Glaub mir!«
    Toni wählte eine Nummer auf einem vorsintflutlichen Ungetüm von tragbarem Telefon. Nach wenigen Freizeichen hatte er eine Verbindung. Augenblicklich ließ Toni eine wahre Tirade italienischer Sätze los und gestikulierte wild mit der freien Hand herum. Harry verstand mehrmals die Worte urgente und veloce.
    »Er ist sofort da. Calmati, Harry, calmati! Ganz ruhig!« Toni tätschelte Harry die Wangen. »Michael ist der Beste.«
     
    Die Minuten kamen ihnen wie Stunden vor. Harry hatte Zoes Mantel geholt und tigerte unruhig auf und ab, Zoe saß quer auf ihrem Stuhl, atmete heftig und machte ein beängstigend ernstes Gesicht. Die Gäste an den anderen Tischen beobachteten sie interessiert. Britt Benning war mit ihren Schwangerschaftstipps am Ende.
    Dann endlich fuhr das große altmodische Checker-Taxi, leuchtend gelb mit schwarz-weiß karierten Seitenstreifen und nagelndem Motor vor dem Restaurant vor.
    Harry hakte Zoe unter und Britt und Toni stritten sich, wer den anderen Arm nehmen durfte.
    »Nun ist mal gut. Ich kann selbst laufen.« Zoe wurde fast ärgerlich. »Ich bin nicht todkrank, ich bekomme nur ein Baby.«
    Es hatte wie verrückt angefangen zu schneien, dicke pappige Flocken kamen vom Himmel. Tonis Neffe Michael hielt die Autotür auf und verfrachtete Zoe und dann auch Harry in den Fond.
    »Beth Israel Hospital?«, fragte er, offensichtlich die Ruhe selbst.
    »Sì, Beth Israel«, antwortete Harry. Irgendwie kam ihm der Taxifahrer bekannt vor.
    Das Taxi reihte sich in die lange Schlange des Abendverkehrs ein. Der Scheibenwischer bewegte sich schmatzend über die schmale Frontscheibe des alten Taxis. Die Ränder neben den beiden Halbkreisen waren dick verschneit. Unter dem Rückspiegel baumelte ein Teddy im Inter-Mailand-Trikot. Aus dem Lautsprecher kam leise Gianna Nannini. Der Wagen war überheizt und in den
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