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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen
Autoren: Steve Toltz
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daraus, dass mein Vater versucht hatte, jede Abbildung seines Bruders zu tilgen, um ihn vergessen zu können. Fruchtlos war dieses Unterfangen, das war offensichtlich; wenn man sich derart anstrengt, jemanden zu vergessen, wird diese Anstrengung selbst zur Erinnerung. Dann muss man das Vergessenwollen vergessen, und auch das wird unvergesslich. Glücklicherweise konnte Dad nicht die Zeitschriftenartikel verschwinden lassen, die ich in der Landesbibliothek gefunden hatte und in denen über Terrys Schandtaten, seine Morde, die Jagd auf ihn, seine Gefangennahme und sein Ende ausführlich berichtet wurde. Ich machte Fotokopien davon, heftete sie an die Wände meines Zimmers und malte mir nächtens aus, ich wäre mein Onkel, der wildeste Verbrecher weit und breit, der sogar eine Leiche in den Erdboden pflanzt, nur um zu sehen, was daraus erwächst.
    Um meine Popularität in der Schule zu steigern, erzählte ich jedem von meiner Verwandtschaft mit Terry Dean und tat praktisch alles dafür, die Neuigkeit zu verbreiten - ich war quasi kurz davor, einen Pressesprecher einzustellen. Das war eine Weile die Sensation und zugleich einer der schlimmsten Fehler, die ich je begangen habe. Anfangs weckte ich Ehrfurcht in den Gesichtern meiner Altersgenossen. Aber dann krochen aus allen Löchern Jungen hervor, kleine und große, die sich mit dem Neffen von Terry Dean prügeln wollten. Einige wollten sich damit ein besonderes Renommee verschaffen, andere wollten mir unbedingt das überhebliche Grinsen aus dem Gesicht wischen; der Dünkel muss meine Gesichtszüge ziemlich entstellt haben. Aus einer ganzen Reihe von Raufereien konnte ich mich herausschwadronieren, aber eines Tages legten mich meine Kontrahenten herein: Sie setzten sich einfach über das ungeschriebene Gesetz hinweg, das besagt, dass man sich immer erst nach dem Unterricht prügelt, niemals frühmorgens, wenn ein Achtjähriger seinen Kaffee noch nicht intus hat. Jedenfalls waren es vier an der Zahl, Schlägertypen allesamt, die Miene grimmig, die Fäuste geballt. Ich hatte nicht die geringste Chance. Ich wurde in die Enge getrieben. Nun war es so weit: meine erste richtige Klopperei.
    Eine Unmenge von Gaffern hatte sich um uns versammelt. Sie feuerten uns in bester Herr-der-Fliegen-Manier an. Ich suchte in ihren Gesichtern nach potenziellen Alliierten. Fehlanzeige. Alle wollten sehen, wie ich heulend zu Boden ging. Ich nahm das nicht persönlich. Jetzt war halt ich mal an der Reihe, weiter nichts. Ich kann Ihnen sagen, es lässt sich nicht in Worte fassen, welches Vergnügen Kinder an Schlägereien haben. Bei einem Kind kommt das einem überwältigenden Weihnachtsorgasmus gleich. Das ist die menschliche Natur, ungefiltert durch Lebensjahre und Erfahrung! Das ist die Menschheit, wie sie frisch aus der Schachtel kommt! Wer behauptet, das Leben mache Menschen zu Monstern, sollte sich mal die unverbildete Brutalität der Kinder vor Augen halten: lauter Welpen, die ihre Dosis an Versagen, Verrat und Enttäuschung noch gar nicht gekostet haben, sich aber trotzdem wie eine Meute wilder Hunde aufführen. Ich habe nichts gegen Kinder, aber ich glaube, es gibt keines, das nicht kichern würde, wenn ich zufällig mal auf eine Landmine träte.
    Meine Feinde rückten vor. Der Ausbruch der Kampfhandlungen stand unmittelbar bevor, ihr Ende würde nicht viel länger auf sich warten lassen. Ich konnte nirgendwohin ausweichen. Sie kamen näher. Ich traf eine Entscheidung von großer Tragweite: Ich würde den Kampf nicht mit ihnen aufnehmen. Ich würde meinen Mann nicht stehen. Ich würde mich nicht nach oben boxen. Ich weiß, die Leute hören es gern, wenn Menschen durch Kampfgeist wettmachen, was ihnen an Körperkraft fehlt, so wie mein Onkel Terry. Respekt bringt man denen entgegen, die bis zum Umfallen kämpfen, so ist es doch, oder? Aber diese edlen Geschöpfe kriegen trotzdem tierisch eins aufs Dach, und darauf war ich so gar nicht scharf. Außerdem fiel mir ein, was mein Dad mir bei einer unserer Küchentischvorlesungen beigebracht hatte. »Hör zu, Jasper«, hatte er gesagt. »Der Stolz ist das Erste, was du dir im Leben abschminken musst. Den braucht man nur, damit man vor sich selbst gut dasteht. Es ist so, als würde man eine verschrumpelte Mohrrübe in einen Anzug stecken, mit ihr ins Theater gehen und so tun, als sei sie jemand Wichtiges. Der erste Schritt zur Selbstbefreiung ist, sich von der Selbstachtung zu befreien. Ich verstehe ja, warum sie manch einem so wichtig ist.
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