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Vater sein dagegen sehr

Vater sein dagegen sehr

Titel: Vater sein dagegen sehr
Autoren: Horst Biernath
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gehörten zum Gewerbe ihres Vaters wie das tägliche Brot, aber sie stellte doch den Kessel ab und trat zu ihm hin. Er schlitzte den Fensterumschlag mit dem Zeigefinger auf, mit einer verzagten Bewegung, als könne man von einem Telegramm nie etwas Gutes erwarten.
    »Na, da haben wir es ja schon!« stieß er hervor, nachdem er einen flüchtigen Blick auf die beiden Zeilen des Formulares geworfen hatte. Er ließ die Hand mit dem knisternden Papier sinken und befeuchtete sich die spröden Lippen. Sein Gesicht, das selbst im Sommer, wenn es tiefgebräunt war, unter dem dunklen Puder der Pigmentschicht eine auffallende, aber nicht ungesunde Blässe ahnen ließ, schien sich noch mehr zu entfärben. Margot nahm ihm das Telegrammformular aus den Fingern und las: Hertha Luedecke nach Operation verstorben Beisetzung Freitag drei Uhr Familie Roeckel. »Wer ist Hertha Luedecke?« fragte sie, und vielleicht war es die leise Eifersucht in ihrer Stimme und in ihrem prüfenden Blick, die Lutz zu einem flüchtigen Lächeln veranlaßte.
    »Meine Schwester«, antwortete er, und sein Mund wurde wieder schmal und schloß sich fest.
    »Du hast mir nie gesagt, daß du eine Schwester hast!« rief sie nicht wenig erstaunt. Er zögerte mit der Antwort.
    »Wir standen uns nicht besonders nah.«
    »Wo lebte sie?«
    »Nach dem Kriege in Traunstein — zwischen Rosenheim und Freilassing.«
    »Und vorher?«
    »Zuerst in Magdeburg bei meinen Eltern — und dann später in Breslau.«
    »Ist sie verheiratet?«
    »Ja.«
    »Und du hast sie nie besucht?«
    »Doch — einmal. Aber auch da bekamen wir uns wieder in die Wolle.«
    »Mein Gott, Lutz, laß dich doch nicht so quetschen! Es ist ja nicht zum Aushalten! Jedes Wort läßt du dir einzeln aus den Zähnen ziehen!«
    »Es gibt da wirklich nicht viel zu erzählen«, knurrte er unlustig; »sie war zehn Jahre älter als ich, und vielleicht hat meine Mutter damals einen Fehler gemacht, als sie Hertha sozusagen zu meiner Kinderfrau ernannte. Jedenfalls paßte es ihr wenig, andauernd auf mich achtgeben zu müssen und eventuell sogar noch Schläge für das Porzellan einzustecken, das ich kaputtgemacht hatte. Und ich muß ein ziemlich übler Satansbraten gewesen sein. Und später, als sie eine junge Dame und ich ein junger Lümmel war, versuchte sie mich zu erziehen, zu einer anständigen Ausdrucksweise und zu anständigen Tischmanieren. Es endete gewöhnlich damit, daß es zum Krach kam oder zu Ohrfeigen, die sie ziemlich freigebig austeilte.«
    »Aber nun hör einmal, Lutz«, wandte Margot kopfschüttelnd ein, »nun schön, sie hat dir mal eine heruntergehauen, und höchstwahrscheinlich wirst du es nötig gehabt haben — aber das kann doch nun nicht der Grund dafür sein, daß ihr beide noch als erwachsene Menschen...«
    »Natürlich nicht«, unterbrach er sie, »aber dann kam Luedecke, Hermann Luedecke aus Breslau, seines Zeichens Hoch- und Tiefbauingenieur, und heiratete Hertha. Vielleicht ein netter Kerl...«
    »Vermutlich, denn sonst hätte ihn deine Schwester wahrscheinlich nicht geheiratet!«
    »Aber er lag mir nicht! Weißt du, er war so ein bißchen das, was man bei uns einen feinen Pinkel nannte. Wäsche immer tipptopp, und im Taschentuch stets ein paar Tropfen Juchten oder Kölnisch Wasser. Er hatte von zu Hause Geld, stammte von den Zigarren=Luedeckes. Und er gab damit ein wenig an. Wir konnten uns jedenfalls vom ersten Augenblick an nicht riechen. Und dann kam es einmal in seinem Hause zwischen ihm und mir zu einem Mordskrach, und meine Schwester schmiß mich kurzerhand hinaus, ein für allemal.«
    »Und dann?«
    »Dann vergingen Jahre. Er war natürlich Reserveoffizier, Pionier, und blieb bei Stalingrad. Und ich war Obergefreiter und kam mit einem Loch in der Schulter und ein paar Granatsplittern im Bauch davon. Inzwischen starben meine Eltern. Und dann floh meine Schwester mit ihren beiden Kindern aus Schlesien und landete in Oberbayern, und ich landete hier. Gleich, nachdem die Züge wieder verkehrten, suchte ich sie in Traunstein auf. Ein nettes, kleines Städtchen in der Nähe vom Chiemsee, mit viel Wald in der Umgebung und den Bergen vor der Haustür. Sie hatte dort eine Leihbibliothek aufgemacht. Vorn ein winziger Laden und hinten ein noch winzigeres Zimmer, in dem sie mit ihren beiden Kindern hauste. Weiß der Teufel, woher sie die Bücher hatte. Wahrscheinlich zusammengebettelt.«
    »Fabelhaft!«
    »Natürlich fabelhaft! Hertha hatte immer Haare auf den Zähnen. Ich weiß auch nicht,
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