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Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)

Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)

Titel: Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)
Autoren: Steffen Duck
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Fuhrmanns Beobachtung ließ befürchten, daß es bei der Armee tatsächlich zwangsläufig zu dauerhaften Veränderungen der Persönlichkeit kommen würde.
    Auch die Berichte von seiner Zeit bei der NVA und extremer Winterkälte, die verschüttete Suppe augenblicklich gefrieren ließ, sowie von anderen Begebenheiten der Sorte „Hört nur, was ich alles durchmachen mußte!“ erzeugten wachsende Angst und Abscheu bei Wilfried.
    ***
    „Treffen wir uns am Sonntag endlich mal zur Radtour?“
    „Diesen Sonntag ist es ganz schlecht. Mein Bruder kommt heim. Anderthalb Jahre war er bei der Asche, du weißt.“
    „Asche? Ach so, ja, verstehe.“
    Hatte Wilfried für einen Moment geglaubt, sein Schulfreund meine die Müllabfuhr, so hatte er sich gedanklich gerade noch gefangen, obwohl er den Begriff „Asche“ für die Armee zum ersten Mal gehört hatte.
    „Anderthalb Jahre“ - das war ihm ein Begriff. Fürchterlich lang war das.
    Andererseits, war nicht eben noch die Rede davon gewesen, daß man den großen Bruder seines Freundes zur NVA gezogen hatte? Nun also kam er ja schon wieder.
    Wie unterschiedlich konnte das subjektive Zeitempfinden doch sein.
    Und unaufhaltsam näher rückte der Schatten.
    Einen Augenblick verspürte Wilfried Übelkeit, nein, Widerwillen.
    Schlagartig hatte die Welt all ihr Leuchten verloren, ihre Farben eingebüßt. Grau und häßlich erschienen ihm nun die Fassaden der Häuser der Straße, durch die sie trotteten, die Schultaschen jeweils in der rechten Hand, obwohl sie sie doch auf dem Rücken tragen sollten, um Haltungsschäden vorzubeugen.
    An vielen Wänden bröckelte der Putz. Sonst war ihm das gleichgültig, doch nun störte es ihn auf einmal. Beim nächsten Haus waren, über 30 Jahre nach Kriegsende, die Einschußlöcher noch immer zu sehen. Wilfrieds Widerwillen hatte nun einer unsäglichen Traurigkeit Platz gemacht.
    Sein Freund hatte seinen Stimmungswechsel bemerkt und stieß ihn in die Seite.
    „Bis zu den Sommerferien sind es noch etliche Wochen. Wir machen die Radtour noch.“
    „Ja, klar. Also tschüß bis morgen!“

    Völlig abwesend murmelte Wilfried seinen Gruß.
    Zugleich ahnte er, daß sein Freund wohl kaum Verständnis für seine trüben Gedanken aufgebracht haben würde.
    Wenn Hoffnung immer nur die Folge eines Mangels an Informationen war, dann konnte Wilfried mit seinen nun 14 Jahren keine mehr haben.
    Zuviel hatte er bereits an unschönen Geschichten über diese Armee erfahren müssen.
    Meist waren es keine besonders tragischen oder sonstwie schlimmen Geschichten, wenngleich es auch diese gab: Tote Armeeangehörige durch Unfälle, Unachtsamkeit beim Umgang mit Waffen und Munition, Streiche, unsägliche Dummheit.
    Einem Soldaten habe man das Ventil am Filter der Gasmaske verschlossen, daraufhin sei er erstickt.
    Wilfried wußte nicht, ob diese Story in die Kategorie der ganz bestimmt wirklich wahren Begebenheiten gehörte, die der Bruder der Freundin des Freundes ganz bestimmt von seinem Freund gehört hatte.
    Wilfried hatte als Siebenjähriger im GST - Lager (Gesellschaft für Sport und Technik, zuständig für die vormilitärische Ausbildung Jugendlicher) an der Ostsee, wo der Vater als Lehrer in den Sommerferien Leitungsaufgaben innehatte, eine Gasmaske anprobiert.
Wenn man merkte, daß man nicht atmen konnte, so hatte man genug Zeit gehabt, sie wieder abzusetzen.
    Dennoch trug auch diese Geschichte dazu bei, sein Fernbild der Armee zu formen:
    Keinerlei Freiheit, keine Fluchtmöglichkeit, nirgendwohin.
    „Wende die Schwejk - Methode an,“ hatte sein Vater ihm geraten.
    „Nach außen hin: Jawoll!, innerlich sich seinen Teil denken.“
    Als ob das so einfach wäre. Es bedurfte schon enormer Geisteskraft, sich innerlich frei zu fühlen, wenn man äußerlich keinen noch so winzigen Gestaltungsspielraum hatte.

    Zwei Jahre zuvor hatte Wilfried in einer letzten verzweifelten Anstrengung, etwas Positives der Armee abgewinnen zu wollen, einer mit den Eltern befreundeten Lehrerin gegenüber behauptet, bei der Armee werde er sich nur nach Vernunftprinzipien richten.
„Mein lieber Wilfried,“ hatte sie daraufhin geantwortet, „bei der Armee geht es nur darum, sich vor den unangenehmen Dingen so weit wie irgend möglich zu drücken, nicht aufzufallen, um durchzukommen. Mit Vernunft ist dort überhaupt nichts auszurichten.“
    Also war auch das Lied „Wir guter Sache Soldaten …“, in dem die Zeile „… in Vernunft brüderlich vereint …“ vorkam, nichts als
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