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Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)

Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)

Titel: Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)
Autoren: Steffen Duck
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Sache. Wer einmal, auch als Vorschulkind, offiziell geäußert hatte, Berufssoldat werden zu wollen, war vor den Werbern des Werbezirkus „Mando“ in der ganzen Jugendzeit nicht mehr sicher, so lange, bis die Verpflichtungserklärung unterschrieben war.
(Die bürgerliche Auffassung von Geschäftsfähigkeit war hierbei irrelevant; und natürlich mußte es „Wehrbezirkskommando“ heißen.)

    Sie verließen die Straße wie das Thema. Als sie um die Ecke bogen und die Soldaten aus dem Blickfeld verschwunden waren, entspannte sich der Blick von Großtante Sieglinde merklich.

    Jahre später erst begriff Wilfried, auf welch direkte und doch so komplizierte Weise Großtante Sieglinde ihn vor einer kindlichen Dummheit bewahrt hatte:
    Einmal auf der Schiene in Richtung Berufssoldat, wäre ein Abspringen mit jedem Tag schwieriger und riskanter geworden, da der Zug unentwegt beschleunigt hätte.
    Weniger die Worte als ihre nonverbale Botschaft hatte Wirkung gezeigt.

    Zugleich aber war am Horizont, wenn auch noch unsagbar weit weg für Wilfried, ein dunkler Schatten sichtbar geworden, der täglich eine Winzigkeit wuchs.
    Es war am 1. Mai 1969.
    -
    2. Die Asche
    „Verteidigung des Sozialismus - leiste Deinen Beitrag! Werde Soldat auf Zeit!“ (Plakatwerbung 1972)
    -
    Sozialistisch woll´n wir leben,
    sind dazu allzeit bereit.
    Schutz wirstu dem Volke geben,
    NVA-Soldat auf Zeit!
    -
    „Was heißt das - Soldat auf Zeit?“
    „Die werden nicht Berufssoldat, sondern verpflichten sich für drei Jahre zur Armee. Danach üben sie andere Berufe aus.“
    „Und wie lange gehen die normalen Soldaten zur Armee?“
    „Anderthalb Jahre muß jeder gehen.“
    Das hatte Wilfried schon einmal gehört.
Der Soldat mit seinem Feldstecher um den Hals sah kühn von seinem Plakat in die Ferne, über den Betrachter hinweg, ihn keines Blickes würdigend. Im Hintergrund nahm man undeutlich gepanzerte Fahrzeuge wahr.
Das Bild stieß Wilfried ab und faszinierte ihn zugleich.
Doch würde er gern anstelle dieses Uniformierten sein wollen?
Seine Antwort hieß eindeutig: Nein!
    -
    „Soldaten unsrer Volksarmee,
    zu Land, zu Luft, zur See,
    marschier´n in gleichem Schritt und Tritt
    wir laufen fröhlich mit …“
    -
    Das Gedicht im Lesebuch der zweiten Klasse war ziemlich lang. Nach jeder Strophe erklang der Refrain:
    -
    „Gut´ Freund, gut´ Freund, gut´ Freund, gut´ Freund, gut´ Freund ist der Soldat;
    der Offizier, der General, auch Feldwebel und Maat.“
    -
    Wilfrieds Faszination für das Militär hatte bereits arg nachgelassen. Dennoch lernte er das Gedicht freiwillig auswendig, ohne die direkte Absicht, damit in der Schule zu glänzen.
Irgendwie aber gab es dann doch die ersehnte Eins in Deutsch.
    „Schau mal, Gerda,“ sagte Wilfrieds Vater zur Mutter, als er zufällig einen Blick ins Deutschbuch warf.
    „Schon in der zweiten Klasse wird das Militär verherrlicht mit solchen Gedichten, wie ich sie aus sowjetischen Lehrbüchern kenne - „wie schön es ist, Soldat zu sein“ und so.
    Man braucht bloß aus dem Fenster zu sehen - so viele junge Männer tragen Uniform. Die könnten besser etwas Sinnvolles arbeiten. Wie viele Arbeitskräfte dadurch der Gesellschaft verlorengehen! Alles wird militarisiert.“
    Wilfried bekam rote Ohren. Wie gut, daß er noch nichts von der Eins für das freiwillig auswendig gelernte Gedicht berichtet hatte.

    Indessen waren die Aussagen von Wilfrieds Eltern durchaus nicht in sich konsistent. Man machte sicherlich keinen Fehler, wenn man im Gegenteil behauptete, daß sie widersprüchlicher kaum sein konnten.
    „Warte nur, wenn du erst zur Armee kommst!“ war noch eine der harmloseren Phrasen, die Wilfried schon sehr bald gelernt hatte, zu ignorieren.
    „Mußt du denn immer das Gegenteil von dem machen, was ich sage?“ war für Wilfried schon schwerer zu überhören, wenn er voller Schuldgefühle versuchte, seinen eigenen Weg zu finden.
    „Die Jugendlichen müssen Gehorchen lernen!“ Diesen Satz des Vaters haßte Wilfried am meisten.
    „Daß die jungen Kerle bei der Armee Ordnung und Disziplin lernen, das schadet nichts, aber daß sie schikaniert werden, das ist nicht in Ordnung!“
    Mutters Aussage brachte hingegen die schier unüberwindbare Unkenntnis der meisten Frauen bezüglich der NVA auf den Punkt.

    „Es gibt wohl keinen jungen Mann, der nach seinem Dienst bei der NVA seine Hose beim Ausziehen nicht auf Bügelfalte legen würde, der seine Haare nicht fortan kürzer trüge.“
    Russischlehrer
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