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Vampirjaeger

Vampirjaeger

Titel: Vampirjaeger
Autoren: Richard Laymon
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letzten drei oder vier Minuten wie eine Fantasie vorkamen, in der mir mein sehnlichster Wunsch erfüllt wurde, träumte ich nicht. Ich war eindeutig wach. Nur ein Wahnsinniger würde den Unterschied nicht erkennen.
    »Was ist los?«, fragte ich und war selbst überrascht, dass ich endlich eine vernünftige Frage stellte.
    »Ich brauche deine Hilfe«, antwortete Cat. Das war alles, was ich hören wollte.
    Verdammt, ganz egal, welche Antwort sie mir gegeben hätte, ich wäre mit ihr gegangen.
    »Du bist in Gefahr, nicht wahr?«, fragte ich.
    »Das kann man so sagen. Ich erzähle es dir unterwegs.«
    »Okay. Ich packe ein paar Sachen zusammen.«
    Als ich das Wohnzimmer verließ, lehnte Cat noch immer mit dem Rücken an der Tür. Zuerst ging ich ins Badezimmer. Anstatt meine Zahnbürste nur einzupacken, benutzte ich sie. Ich konnte den Blick in den Spiegel nicht vermeiden, er hing direkt vor meinem Gesicht, während ich die Zähne schrubbte. Meine Haare waren völlig zerzaust und ich hatte einen Zweitagebart. Mein T-Shirt löste sich an der rechten Schulternaht auf und war vorne verziert mit dem ausgeblichenen Bild eines mürrisch dreinblickenden Truthahngeiers. Darunter stand der Spruch: »Geduld, Alter. Ich werde schon noch was töten.«
    Ich sah aus wie ein Penner.
    Das Letzte, was ich in dieser Nacht erwartet hatte, war ein Überraschungsbesuch des einzigen Mädchens, das ich je geliebt hatte.
    Es hätte zu lange gedauert, mich erst fein zu machen, also beließ ich es beim Zähneputzen. Dann nahm ich meinen Kulturbeutel mit ins Schlafzimmer, zog eine kleine Tasche aus dem Schrank und warf einige Dinge hinein.
    »Du musst dich nicht umziehen«, rief Cat aus dem Wohnzimmer herüber.
    »Du siehst gut aus, so wie du bist.«
    Da war ich mir nicht so sicher. Aber vielleicht waren ein hässliches, altes Geiershirt und eine ausgewaschene Bluejeans der passende Aufzug für die Art von ›Hilfe‹, die sie brauchte. Die Socken waren es definitiv nicht, also zog ich ein Paar Turnschuhe darüber. Schließlich steckte ich meine Brieftasche und die Schlüssel in die Tasche und trug sie ins Wohnzimmer.
    Cat stand mit dem Rücken zu mir vor meinen Bücherregalen. Sie drehte sich nicht um. »Wie ich sehe, liest du immer noch viel«, stellte sie fest.
    »Ja.«
    »Daran erinnere ich mich. Du hattest immer und überall ein Taschenbuch dabei.« Sie wendete mir das Gesicht zu, lächelte und klatschte sich durch den eng anliegenden Morgenrock auf die rechte Pobacke. »Hier in der Tasche. Selbst, wenn du mit mir ausgegangen bist. Du hast so wunderschöne Gedichte geschrieben.«
    »Ich schreibe fast nur noch Prosa.«
    Sie drehte sich um. »Hast du noch immer diese alte Ausgabe von Dracula?«
    »Klar. Irgendwo. Ich werfe niemals ein Buch weg.«
    »Es war vom Regen ganz mitgenommen.«
    »Ich habe es noch«, sagte ich. Meine Kehle wurde ein wenig eng. Sie wusste es noch.
    »Wir sind auch klatschnass geworden«, sagte sie. Sie neigte ihren Kopf.
    »Erinnerst du dich?«, fragte sie.
    »Sicher. Der Pier von Santa Monica.«
    »Wir haben gebratene Muscheln gegessen.«
    »Und wurden von einem Platzregen überrascht.«
    »Durchtränkt.« Den Kopf noch immer gesenkt, lächelte sie ein wenig traurig.
    »Und dann haben wir uns unter dem Pier verkrochen, um dem Regen zu entkommen. Erinnerst du dich auch daran?«
    »Ja, und ob.«
    »Es war das erste Mal, dass wir uns geküsst haben. Wir standen im Sand unter dem Santa Monica Pier. Es war kalt da. Und gruselig.« Ihr Lächeln verlor den traurigen Ausdruck und sie begann leise zu kichern. »Du hast gesagt, die Trolle würden uns gleich fangen.«
    Jetzt musste ich auch lächeln. »Habe ich?«
    »Ich schätze, deswegen bin ich jetzt hier.«
    »Hä? Wegen der Trolle?«
    Sie schüttelte ihren Kopf und kam zu mir herüber. »Weil ich mich bei dir sicher fühle. Ich habe mich immer sicher bei dir gefühlt, Sam. Aber ganz besonders in der Nacht unter dem Pier, als wir völlig durchnässt waren und es regnete und… überall um uns herum Trolle lauerten. Und wir uns geküsst haben.«
    Sie hielt nur wenige Zentimeter von mir entfernt inne und starrte hinauf in meine Augen. Sie roch noch genauso wie als Teenager: Nach Zuckerwatte und Wrigley's-Spearmint-Kaugummi.
    »Und du hattest Dracula in deiner Hosentasche«, flüsterte sie.
    »Ja«, sagte ich. Mein Herz raste. Ich stellte meine Tasche ab.
    »Ich möchte mich wieder sicher fühlen«, sagte sie zu mir.
    Ihrem Blick nach zu urteilen, wollte sie, dass ich sie küsse.
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