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V wie Verrat

V wie Verrat

Titel: V wie Verrat
Autoren: Anna Schwarz
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begann ich hysterisch schluchzend an den Fesseln zu zerren bis meine Arme bluteten. Er seufzte theatralisch, machte eine winzige Handbewegung und von jetzt auf nachher verlor ich jegliche Kontrolle über meinen Körper. Kein Muskel gehorchte mir mehr, nicht mal den Kopf, der an die Rückenlehne zurückgefallen war, konnte ich mehr bewegen. Es fühlte sich an, als hätte man mich in Kunstharz gegossen und nur die Augen freigelassen. Nein, es war noch schlimmer. Der surrealen Eindruck, gar keinen Körper mehr zu haben, denn ich spürte weder meinen Herzschlag noch meinen Atem.
    Langsam schlenderte er in meine Richtung.
    »Was machst du denn nur? Sieh doch, jetzt hast du dich auch noch verletzt.«
    Automatisch folgte ich seinem Blick, sah das Blut an meinen Armen heruntertropfen, ohne den dazugehörenden Schmerz zu fühlen.
    Als er meinen Stuhl erreicht hatte, nahm mit dem Zeigefinger einen Tropfen davon auf und leckte ihn ab. Ließ ihn prüfend im Mund und schloss die Augen, als koste er einen teuren Rotwein. Dann sah er mich überrascht an und sagte: »Ungewöhnlich. Äußerst ungewöhnlich.«
    Er stützte sich mit beiden Händen auf meinen Armen ab und beugte sich weit nach vorne. Seine Augen waren so dunkel, dass sie beinahe schwarz wirkten, aber im Gegensatz zu Lins oder meinen eigenen fehlte ihnen der braune Schimmer. Doch die Farbe war nicht der Grund, warum alles in mir brüllte: »Lauf weg! Renn so schnell du kannst!«
    Sie schienen das Licht einfach zu schlucken, ich konnte nicht das kleinste bisschen Glanz entdecken. Stumpf und leer. Die Augen eines Toten.
    »Hör auf mit dieser widerlichen Heulerei.«
    Er hatte die Stimme nicht gehoben, trotzdem hatte sich die heiße Nadel in ein rot glühendes Messer verwandelt, das er tief in mein Hirn rammte. Ich schrie wie von Sinnen vor Schmerzen, aber es kam kein Laut aus meinem Mund.
    »Sieh mich an.«
    Verzweifelt versuchte ich mich aus seinem Blick zu lösen, rollte wild mit den Augen.
    »Sieh! Mich! An!«
    Jede einzelne Silbe rammte das Messer erneut und tiefer in meinen Kopf. Hilflos und meiner letzten Willenskraft beraubt, folgte ich seinem Befehl. Das Grau färbte sich nach und nach immer dunkler, als ob seine Pupillen sich weiten und die Iris verschlingen würden, bis ich glaubte, in ein bodenloses, schwarzes Loch zu schauen. Ein Abgrund, auf dessen Boden man all die hässlichen Monster ahnt, vor denen man sich seit Kindesbeinen in Licht und Gesellschaft flüchtet. Von denen man insgeheim weiß, dass sie existieren, auch wenn man es niemals zugeben würde und denen man jede Gräueltat und jede Perversion zutraut. Mein erwachsener Verstand wollte diese Gedanken nicht zulassen, aber der kleine Rest des Kindes, den wir in uns tragen und der sich die meiste Zeit aus unserem Leben heraushält - dieser Rest übernahm jetzt mein Denken und Fühlen.
    Geh weg. Ich hab Angst vor dir. Lass mich in Ruhe. Geh weg!
    Das Schwarz begann an mir zu ziehen, sog mich förmlich in sich hinein. Das scheußliche Gefühl ins Nichts zu fallen, dass man aus seinen Albträumen kennt, packte mich.
    Hör auf. Ich will da nicht rein. Bitte bitte bitte. Geh weg.
    Der Sog verstärkte sich und das Falltempo wurde schneller. Je näher ich dem Boden kam, je mehr drohte sich mein Verstand ganz zu verabschieden und in eine schützende, nicht wieder zu öffnende Kammer einzuschließen.

    »Lass sie sofort los!«
    Eine donnernde Stimme, so laut, dass ich glaubte, das Nachbeben zu spüren, unterbrach die Verbindung. Er richtete sich überrascht auf und ließ mich los, sowohl körperlich, als auch geistig. Trat ein Stück zurück und sah an mir vorbei. Im gleichen Moment erschien Pierre hinter ihm und sagte überrascht: »Vater?«
    Dann bemerkte er den anderen und brüllte: »Was zur Hölle?«
    Ein gleißender grüner Lichtstrahl schoss rechts an mir und IHM vorbei und traf Pierre, schleuderte ihn an die Wand. Der zweite, diesmal leuchtend hellblau kam von links, und erwischte IHN mitten auf der Brust. Der einzige Effekt war ein leichtes Schwanken, mehr nicht. Viktor und Andrew erschienen auf beiden Seiten in meinem Blickfeld, postierten sich wie eine Eskorte neben dem Stuhl.
    Danke. Lieber Gott, ich danke dir!
    Vik warf mir einen kurzen, prüfenden Blick zu. Seine Augen weiteten sich, als er das Blut sah, aber ich biss die Zähne zusammen und schüttelte mühsam lächelnd den Kopf. Pierre war mit rot glühenden Augen und blitzendem Raubtiergebiss wieder aufgesprungen. Er bebte vor Zorn, duckte sich
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