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Urmel aus dem Eis

Urmel aus dem Eis

Titel: Urmel aus dem Eis
Autoren: Max Kruse
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krähte er. „Was tätet ihr wohl ohne mich?“
    „So geht es nächt“, bemerkte Schusch. „Päng Pänguän äst einfach zu klein! Er kann säch noch so sehr aufplustern und hän- und herrücken, er bedeckt höchstens ein Värtel der Oberfläche. Und Eier, dä ausgebrütet werden sollen, müssen gänzläch unter dem Brüter verschwänden!“
    „Aber was sollen wir tun?“ Der Professor war ratlos. „Vielleicht ist Wutsch groß genug“, warf Wawa ein.
    „Ich brüte doch nicht!“ grunzte Wutz empört.
    „Hihi!“ kicherte Ping Pinguin. „Wenn ihr Wutz mit ihrem Drei-Zentner-Gewicht herauf hebt, gibt es Rührei!“
    Wutz zeigte ihnen beleidigt ihr Hinterteil.
    Tim Tintenklecks schlug vor, Ping Pinguin zunächst brüten zu lassen, aber alle Decken und Tücher über ihn und das Ei zu breiten. Ping Pinguin ließ alles mit sich geschehen, so stolz war er. Bald war er unter einem Gebirge von Decken und Tüchern verschwunden. Ein Badetuch, eine Wolldecke, ein Handtuch, die Geschirrtücher, die Bettlaken, sämtliche Vorhänge — alles wurde über ihn und das Ei geworfen, bis auf dem Strand nur noch ein unförmiger Haufen zu erkennen war, der aussah, als sollte er von einer Wäscherei abgeholt werden.

    Und so verging die Zeit. Die Sonne hatte ihren Höhepunkt längst überschritten, es wurde Nachmittag, und es wurde Abend. Schließlich kam die Nacht mit ihrer Kühle. Professor Tibatong bat die Tiere und Tim Tintenklecks, trockenes Reisig zu sammeln. Rings um das Ei-Pinguin-Stoff-Gebirge entzündeten sie Feuer, die eine Höllenglut ausströmten und Funken in den dunklen Himmel sprühten.
    Ping Pinguin schwitzte und ächzte. Er drohte zu ersticken. Als das Ei die Temperatur einer Wärmflasche erreicht hatte, löste ihn Wawa ab. Gegen Morgen übernahm Schusch das Amt des Brüters, und auf diese Weise folgten Tage und Nächte aufeinander.
    Langsam wurde es ihnen langweilig. Täglich horchte der Professor das Ei mehrmals mit dem Hörrohr ab. Aber immer wieder schüttelte er enttäuscht den Kopf.
    Endlich — es war genau am Mittwoch um zehn Uhr fünfunddreißig (der Professor führte natürlich genau Buch) — vernahm er auf einmal leise Bewegungen und ein feines Schmatzen. Glücklich richtete er sich auf, und seine Augen funkelten, als er flüsterte: „Es lebt!“
    Das war ein feierlicher Moment. Gerade lag Wawas weicher Echsenbauch über dem Ei. Nun schielte er besorgt unter sich. „Seid ihr gantsch sicher, daß kein Ungeheuer herauskriecht?“ fragte er.
    Niemand war ganz sicher. Und als die Bewegungen kräftiger wurden und das Ei zu schwanken begann, ordnete Professor Tibatong an, daß sich alle von ihm zurückziehen sollten. Es war eine heiße Mittagsstunde, und so mochte die Sonnenhitze nun wohl ausreichen, das Werk zu vollenden.
    In sicherer Entfernung warteten sie. Schusch lüftete die Flügel, um rasch auffliegen zu können. Wawa äugte zaghaft um einen Stein, Ping Pinguin stand im Wasser, bereit, sofort unterzutauchen und zu verschwinden. Auch Professor Tibatong war ein paar Schritte zurückgetreten. Er faßte Tim Tintenklecks fest an der Hand. Von Wutz war überhaupt nichts zu sehen, und Seele-Fant — nun, Seele-Fant sang wie immer eines seiner traurigen Lieder weit draußen auf dem Felsenriff.
    Das Ei zitterte und bebte. Jemand drückte von innen gegen die Schale. Immer heftiger schaukelte es, immer unerträglicher wurde die Spannung.
    Plötzlich barst es. An einer Seite drängte ein seltsam zerknitterter Kopf heraus. Die Augen waren geschlossen. Der Hals wurde länger — bald hing er da wie ein matter Blütenstengel. Der Körper schälte sich frei, die Risse der Eierschale wurden breiter, einzelne Stücke und eine Flüssigkeit klebten noch auf der verschrumpelten Haut des zerknautschten Geschöpfchens.
    „Seht nur, es hat so kleine Arme und Händchen wie ich!“ jauchzte Wawa.
    „Oh, wie niedlich!“ krähte Ping Pinguin. „Es hat Flügel auf dem Rücken, so wie ich!“

    „Was kann es nur sein?“ fragte Tim Tintenklecks.
    „Still — ich weiß es auch noch nicht!“ flüsterte Professor Habakuk Tibatong. Seine Kehle war heiser und ausgetrocknet. „Aber ich glaube... es könnte... o du liebe Güte ..
    Jetzt war das Wesen ganz aus dem Ei geschlüpft. Unsicher stand es auf wackligen Beinen. Es versuchte, sich auf etwas zu stützen, was aussah wie ein Krokodilsschwanz. Es vermochte seinen langen Hals nicht zu halten und konnte auch die Augen nicht öffnen. Ermattet legte es den unförmigen Kopf in
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