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Urlaub mit Papa

Urlaub mit Papa

Titel: Urlaub mit Papa
Autoren: Dora Heldt
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die richtige Position, »dreh dich doch um, du kannst mir doch nicht einfach den Spiegel verstellen.«
    Heinz sah sie an. »Ich kann mich kaum bewegen. Ihr habt den Sitz so weit nach vorn geschoben, nur weil Christine die Reisetasche nicht mehr in den Kofferraum bekam.«
    »Papa, du kannst gerne hinten sitzen.«
    »Das geht nicht, mir wird hinten schlecht. Wie lange fahren wir denn noch?«
    Ich verdrehte die Augen, er sah mich ja nicht. »Ungefähr zweieinhalb Stunden.«
    »So lange? Um Himmels willen. Das ist gar nicht gut für meine Hüfte. Ich muss mir zwischendurch mal die Beine vertreten.« Er beugte sich vor, um das Autoradio besser sehen zu können. »Was ist denn das für ein Sender?«
    Es lief ein altes Stück von Fleetwood Mac.
    »Diese Hottentottenmusik macht mich ganz verrückt. Wo ist denn der NDR 1?«
    Ohne zu fragen, tippte er mit dem Finger auf die Sendertaste. Ich befürchtete das Schlimmste. Und es passierte: ›Steig in das Traumboot heute Nacht, Anna Lena‹ in voller Lautstärke.
    »Das passt ja wie die Faust aufs Auge.« Mein Vater stupste Dorothea an und sang verzückt mit. Dorothea sah mich entsetzt im Rückspiegel an.
    »Was ist das denn?«
    »Traumboot heut Nacht, lalalala. Das ist Costa Cordalis. Ein schönes Lied. Und so passend. Obwohl wir nicht erst heute Nacht einsteigen und diese Fähre ja wohl kein Traumboot ist. Na, Christine, das ist doch wenigstens Musik, oder?«
    Er wippte mit den Knien, ich lehnte meinen Kopf an die Scheibe und schloss die Augen.
    Eine Stunde später und fast betäubt von Textzeilen wie ›Ich fange nie mehr was an einem Sonntag an‹, ›Eine Goldmedaille für deine Supertaille‹ oder ›Du musst mit den Wimpern klimpern‹ fuhr Dorothea mit angestrengter Schulterhaltung auf eine Raststätte. Sie parkte vor einer Tanksäule und stellte den Motor ab. Stille. Das Radio war aus, wir hörten nur noch Heinz, der mit geschlossenen Augen voller Hingabe die Zeile zu Ende sang. Dorothea und ich sahen erst uns, dann ihn stumm an. Mein Vater öffnete die Augen und lächelte.
    »Das ist Renate Kern. Dolle Frau. Nicht richtig hübsch, aber durchaus patent. Hat schöne Schlager gesungen. Damals.« Er schnallte sich ab und öffnete seine Tür. »So, Mädels, lasst den Herrn mal tanken, ihr könnt noch einen Moment sitzen bleiben, danach trinken wir eine schöne Tasse Kaffee. Aber nicht wegfahren.« Er stieg aus und schlug die Tür hinter sich zu.
    Dorothea drehte sich zu mir um. »Du hättest mir das sagen müssen. Ich hätte das Radio ausgebaut. Er kann ja jeden Text mitsingen. Seit wann ist dein Vater so ein Schlagerkönig?«
    »Och, immer schon.« Ich verschwieg ihr, dass auch ich alle Texte konnte. Ob Monica Morell oder Bernd Clüver, nichts war mir fremd. Meine wichtigen Jahre von zehn bis sechzehn hatte ich damit zugebracht, jeden Sonntag die deutsche Schlagerparade mit einem Grundig-Tonbandgerät aufzunehmen. Meine Eltern feierten gern, beim kleinsten Anlass wurde das Sideboard im Esszimmer zum Büfett umfunktioniert, die Teppiche aufgerollt und die Lampen hochgebunden. Man trank Erdbeerbowle und Bier, aß Nudelsalat mit Erbsen und dann tanzte man. Nächtelang. Die Tonbandspulen liefen 60Minuten, es mussten mindestens fünf verschiedene Bänder vorhanden sein. Dafür war ich zuständig. Ich habe fast jeden deutschen Schlager in diesen Jahren irgendwann einmal aufgenommen. Von Renate und Werner Leismann über Christian Anders und Dorthe Kollo bis hin zu Exoten wie Andrea Andergast oder Hoffmann & Hoffmann. Alle. Die Kunst bestand darin, immer wieder andere Reihenfolgen zu kreieren und zum richtigen Zeitpunkt, nämlich
vor
 den Verkehrsmeldungen, auf den Pauseknopf zu drücken. Während dieser sechs Jahre hatte ich eine ausgefeilte Technik entwickelt. Meine Zusammenschnitte waren perfekt. Lautstärken , Pausen, Übergänge, alles stimmte. Es gab ein einziges Band, das meine Schwester aufgenommen hatte. Ich war auf einer Klassenfahrt und sie musste mich an zwei Sonntagen vertreten. Auf der Party, deren Anlass das neue Fahrrad meiner Mutter war, bemerkte mein Vater das erste Mal, dass es auf NDR 2 halbstündlich Nachrichten gab. Keiner der Gäste empfand die Tanzpausen als störend, es wurde aber sehr viel mehr getrunken. Und es war an diesen Sonntagen viel los auf den Autobahnen.
    Vor einigen Jahren hat mein Vater diese alten Schlagerbänder sortiert. Er rief mich danach an, um mir zu erzählen, dass er es ganz spannend gefunden hätte, die damaligen Nachrichten noch
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