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Urlaub fuer rote Engel

Urlaub fuer rote Engel

Titel: Urlaub fuer rote Engel
Autoren: Landolf Scherzer
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Schulen. »Die lassen von einem
     Assistenten die Schritte zeigen. Wenn’s ein Schüler nicht gleich kapiert, kommt er wie bei der Fahrschule noch mal und bezahlt
     noch mal. Und ich, ich habe immer auf die Hände der jungen Leute geschaut. Wer die Hände nass schwitzt, mit dem habe ich hinterher
     lange geredet. Einen Kohlenträger hatte ich mal, sein Mädchen war eine von der Bauakademie. Wenn ich den nur anguckte, lief
     ihm schon der Schweiß … Dem habe ich Selbstbewusstsein beigebracht. Und heute kann der sich mit ’nem Minister oder Professor
     unterhalten. Und ist immer noch Kohlenträger. Der bringt die Kohlen auch zu mir. Ich muss ja alles mit Kohle heizen, den Saal
     unten, die Wohnung oben. Eimer für Eimer hochschleppen. Heizer und Reinemachefraubin ich und Lehrer. Sonst könnt ich die Tanzschule nicht halten, hier neben den reichsten Leuten von Berlin.«
    Und er möchte noch so lange wie möglich in der Friedrichstraße wohnen, beobachten, wenn die ersten Manager, Millionäre und
     Mätressen in die Luxuswohnungen gegenüber einziehen. »Und ich sitze hier oben auf dem Balkon und will’s genießen, wenn unten
     die Kunden aus aller Welt einkaufen. Und ich nebenan im kleinen Café noch eine Tasse für 1,50 kriege. Was will ich mehr?«
    Nebenan in der Friedrichstraße 165 gibt’s wirklich noch einen Kaffee für eins fuffzig. Vor dem Haus hängt eine lange gelbe
     Fahne. Darauf steht in großen Buchstaben »Haus der Demokratie. Seit 1989 Zentrum der Bürgerbewegung. Ort der Begegnung zwischen
     Ost und West«. Auf der Tafel im Eingang über 50 Vereine, Organisationen und Bewegungen, die hier Asyl gefunden haben oder
     (fast) Hausherren sind: Anti-Atom-Laden, Nichtraucherbund, Anti-Tunnel-GmbH, Weibblick, Neues Forum, Böll-Stiftung … Vorerst
     könnten sie aufatmen, erzählt Erhard Otto Müller, der »Intendant« des Hauses. Das Haus hätte zusammen mit jenen Immobilien,
     die erst einige Wochen nach Gründung der DDR enteignet worden wären, auf der Liste 3 gestanden. Doch nun sei entschieden,
     dass die Enteignung rechtens gewesen wäre. »Und die Straße des Großkapitals wird sich damit abfinden müssen, dass ein unruhiges
     Haus der Demokratie mittendrin steht. Und wir werden es lernen müssen, Demokratie zu vermarkten, will sagen, es muss Leute
     geben, die Seidenkrawatten verkaufen, und andere, die Demokratie verkaufen. Wir wollen das Augenzwinkern der Friedrichstraße
     bleiben.«
    Kein Augenzwinkern vor der Nobelabsteige der Friedrichstraße, dem Grand Hotel. Die Prostituierten, Seismographen für den Gang
     der Geschäfte, sind schon vor zwei Jahren aus der Gegend verschwunden. Ein Zimmer im Hotel kostet um die 400 DM, die Schinkel-Suite
     3.400. Mitten in der Hotelhalle thront eine imposante Freitreppe, drum herum wie Ränge im Theater die Zugänge zu den Suiten,
     Swimmingpool und Restaurants. Gediegene, nicht protzige Innenarchitektur. Im Zimmer eine frische Orchidee, als Symbolblume
     des Hauses findet sie sich auch auf Fliesen und Handtüchern.
    Ich laufe stundenlang durch die Hotelräume, möchte die Einmaligkeit für mich genießen. Erst spät nach Mitternacht trinke ich
     mit einem jungen Mann, der den Abend lang von Tisch zu Tisch gewechselt war, einen Wodka. Mir hätte er angesehen, sagt er
     lächelnd, dass ich kein potentieller Kunde für ihn sei. Nach dem dritten Glas stellt er sich vor: Klaus Landauer. Er würde
     im Maklerauftrag Büros in der Friedrichstraße verkaufen. Und zwar billiger, als sie offiziell gehandelt würden. Von den geplanten
     100 DM wäre man inzwischen bei 60 DM angekommen. Er würde Kunden aber schon auf eine 40-DM-Warteliste setzen können. Ich frage
     ihn nach Wohnungen. Für einen Single etwa 3.000 DM …
    Am nächsten Tag endet mein Berlin-Aufenthalt. Ich laufe noch einmal über die Weidendammer Brücke in den Norden der Friedrichstraße,
     schaue mir mein Zimmer im »Amadeus« von außen an und fahre dann zum früher in Westberlin gelegenen Südteil der Friedrichstraße:
     Checkpoint Charlie bis Mehringplatz. Kleine Geschäfte wie im Norden, aber sauberer, langweiliger.Arbeitsamt. Polizeirevier. Und hässliche Neubauten aus den siebziger Jahren, gegen die Honeckers »Usbekischer Bahnhof« ein
     architektonisches Juwel war. An einem Rondell gelb-brauner Sozialwohnungen endet die berühmte Straße. Eingeengt, ohne Anbindung
     ins südliche Kreuzberg.
    Abreißen müsste man, denke ich. Aber nirgends eine Baustelle, nicht mal ein offenes Gullyloch.
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