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Urlaub fuer rote Engel

Urlaub fuer rote Engel

Titel: Urlaub fuer rote Engel
Autoren: Landolf Scherzer
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Büro- und Geschäftsräumen. In der wohnzimmergroßen Anmeldung werde ich vertröstet.
     Ein Termin in der Chefetage in drei bis vier Wochen. Und leider keine Auskünfte über den Umzug.
    Ich gehe ohne Anmeldung weiter. Klopfe an der erstbesten Bürotür. Frage einen Investmann mit grauem Bart und schwarzen Haaren:
     »Weshalb von München nach Berlin?«
    Der Umzug sei für seine Firma mit über 30.000 Mitarbeitern in aller Welt folgerichtig. »Die Friedrichstraße ist künftig das
     Zentrum von Berlin. Berlin künftig das Zentrum von Deutschland. Und Deutschland künftig das …«, er zögert einen Augenblick,
     »… Zentrum der Weltwirtschaft.«
    Ich frage nach Engels. Er lacht. Der sei noch gut fürs Museum. »Hier wird in 10 Jahren eine Gedenktafel zur Erinnerung an
     den beispiellosen Umbau dieser Straße hängen.«
    Gegenüber, in der Friedrichstraße 173, haben das sowjetische Intourist-Büro und Egyptair dichtgemacht. Die Dorotheenstädtische
     Apotheke hingegen ist geöffnet. »Ich habe die frühere Ladenfläche um das Vierfache verringert, so schaffe ich es mit der Miete«,
     sagt die Apothekerin. Und nun hofft sie auf Kopfweh und Bauchschmerzen der künftigen Beamten. »Aber ob ich finanziell bis
     zum Regierungsumzug durchhalte? Mercedes und Christ können vorerst ohne Kunden leben, die haben nicht nur dieses eine Geschäft.«
    Die Dorotheenstädtische Apotheke ist eines der letzten Namenszeugnisse für das Entstehen der Friedrichstraße.Kurfürstin Dorothea schenkte um 1670 allen, die auf den Äckern der heutigen Friedrichstraße/Unter den Linden siedelten, Bauholz
     und gewährte Abgabenfreiheit. So entstanden die Dorotheenstadt und die Querstraße. Friedrich III., Kurfürst von Brandenburg,
     ließ weiterbauen und bescheiden umbenennen: aus Dorotheenstadt wurde Friedrichstadt und aus der Querstraße die Friedrichstraße.
     Soldatenkönig Friedrich Wilhelm änderte zwar die Namen nicht mehr, trieb aber den Bau voran, indem er von den Soldaten alte
     Häuser schleifenließ und anschließend für Bauwillige Vergünstigungen versprach.
    1990 waren Vergünstigungen für Bauwillige unnötig, denn da verhieß ein Stück Bauland auf der Traummeile Prestige und Profit.
     Man schlug sich um jeden Quadratmeter. Erben aus allen Teilen der Welt, zum Beispiel der Johanniterorden und der gräfliche
     Bleistift-Faber, sogar ein schwarzer Farmer aus Burundi, meldeten Ansprüche an. Auf 150 Parzellen der Straße kamen über 300
     Restitutionsforderungen. Goldgräberzeit für Rechtsanwälte und Bankiers.
    Rainer Boldt, 46, arbeitet als Filialleiter der Dresdner Bank in der Friedrichstraße 62 (zuvor bulgarische Handelsmission).
     An den silbernen Garderobenständern hängen, gleich Uniformen in Kasernen, lange schwarze Mäntel, nur lange schwarze Mäntel
     und gleichfarbige Stockschirme. Rainer Boldt ist Sprecher der Interessengemeinschaft der Gewerbetreibenden in der Friedrichstraße
     und ein sehr optimistischer Banker. Zuerst Zahlenbeispiele. »Die Passagen, ein 1,5-Milliarden-Projekt. 120.000 Quadratmeter
     Bruttofläche. Davon 25.000 QuadratmeterGeschäfte, dreimal so viel wie im KaDeWe. Geplant sind Ladenmieten von 200 bis 400 DM, Büros bei 100 DM, Wohnungen um 40 DM
     pro Quadratmeter … Eine Perspektive wie für sonst kaum eine Straße in Europa.«
    Ich frage, wer in die über 1.000 Boutiquen der Extraklasse, wer in die 10.000 Büros einziehen wird. (Schon jetzt verfügt Berlin
     über mehr als genug freie Büros.)
    »Wegen des verschobenen Regierungswechsels nach Berlin gerät einiges ins Stocken, aber wenn die Staatsgäste, die Lobbyisten,
     die Beamten und Abgeordneten erst einmal hier sind … In unserer Friedrichstraße werden alle die einkaufen, und das muss man
     ehrlich sagen, die etwas anderes suchen, als sie bei Schlecker und Aldi bekommen.« Das sei schon durch die Grundstückspreise
     vorprogrammiert. »Wenn ich 40.000 pro Quadratmeter bezahle, kann ich das nicht mit T-Shirts für 9,99 DM oder Sozialwohnungen
     wieder hereinholen.« Lachend und wie nebenbei: »Außerdem müssen auch die Banken irgendwann einmal ihr vorgeschossenes Geld
     zurückbekommen.«
    Sorgen? Nein, lediglich die Bonner 1,3-Milliarden-Pläne zum Bau einer U-Bahn zwischen Alex und Reichstag stören. »Wenn man
     deswegen die Friedrichstraße wieder aufreißt, das ist, als ob ein Genesender noch mal auf den OP-Tisch geschnallt wird. Außerdem
     glaube ich nicht, dass Kohl und alle, die dann im Reichstag zu tun haben,
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