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Urlaub fuer rote Engel

Urlaub fuer rote Engel

Titel: Urlaub fuer rote Engel
Autoren: Landolf Scherzer
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Vor-Vorruheständler.« Auf Arbeit hoffe er dann nicht mehr, hier, wo 20 Kilometer entfernt
     1.000 Kalikumpels in Merkers ohne Job wären. Aber er wolle nicht klagen, ökonomisch gehe es ihm nicht schlecht, besser als
     zu DDR-Zeiten … Und was das Schlösschen beträfe, sie hätten dort regelmäßig gemalert, die Heizung neu verlegt. »Wissen Sie,
     wir besaßen als Betrieb aber nicht nur das Kulturhaus. An der Ostsee haben wir ein Betriebsferienheim gebaut. Hier in der
     Nähe am Krätzersrasen wunderschöne Bungalows für die Kinder. Und dafür verzichteten wir manchmal sogar auf die private Jahresendprämie
     – war nicht so wenig zu alten Zeiten –und haben das Geld für die Kinderferienhäuschen auf dem Krätzersrasen verwendet. Haben also unser Privates gegeben, um für
     alle was zu schaffen. Und das ist doch nun die ganz große Scheiße: Wir haben mit unserer Arbeit in 40 Jahren immer nur sogenanntes
     Volkseigentum vermehrt, nie Privateigentum. Und nun, wo dieses Volkseigentum verscherbelt wird, können wir, die es erarbeitet
     haben, nicht mitbieten, weil wir kein nennenswertes Privateigentum besitzen.«
    Bevor er sich verabschiedet, empfiehlt er mir, nicht das Schlösschen, sondern einen dieser wunderschönen Bungalows auf dem
     Krätzersrasen zu kaufen. »Weil mir das Herz weh tut, wenn ich sehe, wie die Häuschen, die ich auch von meinem Geld mitgebaut
     habe, nun vergammeln.«
    Ich rufe an, erkundige mich nach den Bungalows. Ja, im Prinzip könnte ich sie kaufen, aber sie wären mit einer hohen Grundschuld
     belastet. Die habe der Herr Unternehmer Truckenmüller für seinen Kredit von einer guten halben Million DM von der Bank als
     Bürgschaft auf die Ferienhäuschen eintragen lassen …
    Fünf Tage vor Weihnachten werden die grünen undurchsichtigen Bieterbriefe in der Treuhand geöffnet. 10 seriöse Angebote für
     das Schlösschen. In die engere Wahl kommen eine Firma aus Japan, die im Schlösschen eine Schule für japanische Manager einrichten
     will, die Bundeswehr, die Wohnungen ausbauen möchte, und die Spielzeugmuseumsleute.
    Für das Geraer Rittergut ist unter anderem ein Hotel im Gespräch.
    Fünf Tage nach Weihnachten rufe ich die Betriebsleiterinin der Kugel- und Rollenfabrik an. Nein, die Entscheidung, ob Schließen oder Weiterarbeiten, sei noch nicht gefallen. Bislang
     gebe es keinen Käufer für den Betrieb. Doch die Uhr sei bald abgelaufen.
    »Fairy-tales for sale. Feenmärchen zu verkaufen.«

Die Meile der Eitelkeiten
    Von der Kreuzung Unter den Linden bis zum Checkpoint Charlie treffe ich auf der Berliner Friedrichstraße, der »künftigen Flaniermeile
     Europas«, zwischen Bauzäunen, Baggern, bunten Visionsgemälden künftiger Großbauten des Kapitals und dem fast fertigen Lafayette-Glaspalast,
     der in Größe, Form und mit seinen leuchtenden Bulleyes an die Titanic erinnert, um 21 Uhr genau 32 Fußgänger.
    Drei Frauen beäugen die hinter Gerüsten versteckten Schaufenster. Amüsieren sich über das 1.800-DM-Kleid und die 600-DM-Tasche
     in einer Luxusboutique.
    »Musst nur den richtigen Mann finden.«
    »Solch einen Idioten von Mann, der mir so was kauft, kann’s doch gar nicht geben.«
    Wenige Schritte weiter, Friedrichstraße 176–179, steht das Haus der sowjetischen – heute russischen – Kultur. Im linken Schaufenster
     des 1984 erbauten Hauses entschuldigt eine in Samt gefasste Aufschrift »Nachtdekoration« die nach Geschäftsschluss ausgelegten
     Billiguhren für nur 6.520 DM. Goldener Glanz und Glitzer der Weltfirma Christ. Die russischen Hoffnungsfunktionäre mussten
     vermieten. Einer, der am Haupteingang die Matroschkas in Vitrinen akkurat der Größe nach ordnet, erklärt mir, dass Russland
     der Eigentümer dieses Hauses sei, weil es die Auslandsschulden der ehemaligen Sowjetunion übernommen und dafür alle Botschaften
     und anderen Immobilien in bester Lage in den Zentren der Welt erhalten hat. Im Moment würden sich aber verschiedeneMinisterien mit Jelzin über die Eigentumsrechte streiten.
    Am hell erleuchteten riesigen Mercedes-Salon gehe ich schnell und blicklos vorbei. Dann stoppe ich gewohnheitsgemäß vor dem
     Grenzübergang. Eine Brettermauer, wenn das Wort erlaubt ist, versperrt die Friedrichstraße, und ein großes Schild warnt: »Halt!
     Hier wird gebaut … eine der attraktivsten Business-Adressen Europas (800.000 qm Büros, Geschäfte …).«
    Auf dem Rückweg versuche ich das Innere der gläsernen Titanic zu erkunden. Treppen und
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