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Urlaub fuer rote Engel

Urlaub fuer rote Engel

Titel: Urlaub fuer rote Engel
Autoren: Landolf Scherzer
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Und der Pförtner erzählt mir inzwischen vom vielleicht letzten Stündlein des 1879 gegründeten
     Großbetriebes. Seit einem Jahr laufe die Liquidation, wenn in den nächsten zwei, drei Monaten kein Käufer gefunden würde,
     sei endgültig Schluss.
    Herr Zimmermann, Mittelalter und schlank, im Betrieb für Ver- und Entsorgung verantwortlich, ist freundlich,aber sehr in Eile. Er probiert lange mit den Schlüsseln des dicken Bundes. Die Außentür knarrt. Drinnen ist es warm.
    »Sie heizen noch?«
    »Ja, ist zwar nicht mehr unser Kulturhaus, aber es war ja so lange unser.«
    Im Speisesaal stehen über 200 Stühle. Die Essenausgabe. Tafeln mit Speiseplan und Essenvorauswahl an der Wand. Ein Vorwende-Zettel:
     »Ung. Gulasch mit Gemüse und Kartoffeln: 1,20 Mark. Linsensuppe: 0,60 Mark.«
    Die Küchenkessel sind demontiert. Eine schöne Wendeltreppe führt hinauf in das Obergeschoss. Kultursaal. Betriebsbibliothek.
     Hier stehen noch Honecker neben Heym und Kant neben Kafka. Die Betriebsschneiderstube. Und dann ein Extraschlüssel für das
     Fröbelzimmer. 1851 war der weltbekannte Pädagoge Friedrich Fröbel, der Vater des Kindergartens, in das 1833 errichtete Marienthaler
     Schlösschen eingezogen und gründete im Auftrag des Meininger Herzogs das erste Seminar für Kindergärtnerinnen in Deutschland.
     Hier starb er im Juni 1852, kurz nachdem die Kindergärten in Preußen verboten worden waren. An sein Grab in Schweina pilgern
     jährlich Hunderte Japaner, denn Fröbels Pädagogik ist ein Bestandteil des heutigen japanischen Erziehungssystems.
    Wieder vor der Tür, fragt Herr Zimmermann, ob ich den Park besichtigen möchte.
    »Nein, den kenne ich. Die Teiche müsste man aufräumen.«
    Er schüttelt den Kopf. »Mit Aufräumen allein ist danichts getan, seit Jahren fließen die Abwässer des Betriebes dort hinein. Die Schlösser und Betriebe, die die Treuhand heutzutage
     immer noch wie Sauerbier anbietet, muss, das sind eben wirklich die Letzten.«
    Zimmermann entschuldigt sich, er muss dringend in den Betrieb. In einer halben Stunde könnten wir dann weiter über Fröbel
     und das Schlösschen reden.
    Ein fülliger Mann an der Pförtnerbude, der gehört hat, dass ich das Schlösschen kaufen will, zeigt mir grinsend seinen fliegenklatschenbreiten
     Daumen. Ja, er sei der sogenannte »breitgekloppte Karl«. Die alte Presse …! Und er müsse mir mal sagen, dass es die Leute
     hier einen feuchten Kehricht interessiert, ob dem Fröbel sein Zimmer erhalten bleibt und das Schloss gekauft wird.
    »Von den 1.000 Leuten im Betrieb haben noch knapp 200 Arbeit und die wohl bald auch nicht mehr. Das interessiert die Leute,
     nicht der tote Fröbel und das Schloss!«
    Die Treuhand hatte das Kugel- und Rollenwerk 1991 an den bayerischen Unternehmer Truckenmüller verkauft. Ein guter Geschäftsmann,
     wie sie versicherte. Sein bestes Geschäft: Er ließ den ölbelasteten Boden im Betrieb mit Hilfe von Treuhandgeldern abtragen.
     Brachte ihn für 100.000 DM auf eine Thüringer Müllkippe, berechnete aber über 3 Millionen DM Entsorgungskosten nach bayerischen
     Spezialdeponiepreisen. Da musste er vor Gericht und die Treuhand den Betrieb zurücknehmen. Zwei Tage vor Weihnachten 93 bestellte
     sie Betriebsratsvorsitzende, Geschäftsführer und Betriebsleiterin nach Berlin. Die hofften auf einen neuen Käufer, stattdessen
     verkündete die Treuhand die sofortige Liquidation. Die drei vom Betrieb schafften es, vor dem Fest das»Geheimnis« für sich zu behalten, erst im neuen Jahr verkündeten sie es. Seitdem gibt es zwar volle Auftragsbücher, aber der
     Betrieb müsste der Rentabilität wegen räumlich verkleinert werden. Allein die Heizkosten fressen fast 20 Prozent vom Umsatz.
    Zimmermann ist zurück, erzählt mir von den anderen Interessenten fürs Schlösschen. Großprotze seien dabei gewesen, wohl auch
     Geschäftemacher, aber auch solche Leute wie das Ehepaar Lewandowski aus dem Niedersächsischen. Das wollte keinen Profit um
     jeden Preis, sondern das Schlösschen in ein Spielzeugmuseum umwandeln. »Und schlecht erhalten ist das Gebäude nicht. Unsere
     Betriebshandwerker, wir hatten mal 20 – Neues gab’s selten in der DDR, deshalb mussten wir Altes immer wieder reparieren –,
     also die 20 haben viel gemacht in unserem Schlösschen.«
    Werner Raßbach ist als Letzter von den 20 übriggeblieben. Ein »Vierundfünfziger«, wie er mir erklärt. »Sonderreglung. Wir
     werden im Mai entlassen, sozusagen als
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