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Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)

Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)

Titel: Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)
Autoren: Bree Despain
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verspürt hatte, schien meine Eingeweide aufzuwühlen, bis es sich schließlich in fieberhafte Wut verwandelte und ich an nichts anderes mehr denken konnte: Wie konnte Daniel es wagen, nach dieser ganzen Zeit einfach aufzutauchen, nur um sich dann wieder in Luft aufzulösen? Keine Erklärung. Keine Entschuldigung. Kein Abschluss.
    Ich wusste, dass es eine Million Gründe dafür geben konnte, warum er heute nicht gekommen war, doch ich hatte überhaupt keine Lust mehr, sein Verhalten zu entschuldigen.
    Wenn er früher Essen aus meinem Frühstücksbeutel geklaut hatte, seine Scherze ein wenig zu weit gegangen waren oder er vergessen hatte, mir die ausgeliehenen Malutensilien zurückzugeben, so hatte ich es den ganzen Schwierigkeiten zugeschrieben, die er bereits durchlebthatte, und konnte ihm dann nicht mehr böse sein. Doch nun wollte ich es einfach nicht mehr entschuldigen, wie er sich gerade lange genug in mein Leben zurückgeschlichen hatte, dass ich es schaffte, meine Eltern zu enttäuschen, meinen Bruder aufzuregen, Pete abzuservieren, einen Test zu vergeigen und wahrscheinlich meine Chemie-Prüfung nicht zu bestehen.
    Ich kam mir wie eine Idiotin vor, weil ich meine Zeit damit verschwendete, an ihn zu denken, und er nicht mal den Anstand besaß, wieder aufzutauchen. Jetzt wollte ich ihn unbedingt noch einmal sehen. Nur so lange, um ihm die Meinung zu sagen … oder ihm ins Gesicht zu schlagen … oder Schlimmeres.
    Daniels Zeichnung auf dem Tisch schien mich zu verspotten. Ich hasste geradezu diese Perfektion der geschmeidig verschränkten Linien, die ich selbst auf diese Weise niemals hätte zu Papier bringen können. Ich nahm die Zeichnung vom Tisch, marschierte zum Papierkorb hinüber und warf sie ohne großes Federlesen hinein.
    »Und tschüss!«, sagte ich zum Papierkorb.
    »Okay, jetzt weiß ich endgültig, dass du übergeschnappt bist«, sagte April. »Wir müssen diese Arbeit in einer Stunde abgeben.«
    »Es ist sowieso nicht meine. Nicht mehr.«

KAPITEL 3
Tabula rasa
     
    Was nach der Mittagspause geschah
     
    Als der Kunstunterricht wieder anfing, zog ich ein blütenweißes neues Blatt Papier hervor und machte mich an eine Zeichnung meines Lieblingsteddybärs aus der Kindheit. Sie war nicht wirklich mit meinen sonstigen Arbeiten zu vergleichen – sie war nicht einmal mit den Arbeiten zu vergleichen, die ich im Alter von neun Jahren angefertigt hatte –, doch Mr Barlow fuhr eine Null-Toleranz-Politik gegenüber unvollendeten Aufgaben. Ich dachte mir, eine schlechte Arbeit sei besser als gar keine, und schob mein Blatt unter den Stapel von Zeichnungen auf Barlows Schreibtisch, bevor ich die Klasse verließ.
    April blieb noch, um mit Barlow über ihr Portfolio zu sprechen, und so schlenderte ich mit kaum weniger düsteren Vorahnungen in Richtung meiner Chemieprüfung. Mein Magen fühlte sich besser an, nachdem ich mich entschieden hatte zu vergessen, dass ich Daniel überhaupt wieder begegnet war. Doch die Prüfung? Meine Mutter würde ganz bestimmt
nicht
glücklich darüber sein. Ich hatte zwar vor Ende der Mittagspause Petes Notizen ein paar Mal überflogen, doch selbst, wenn ich die ganze Nacht Zeit gehabt hätte, könnte ich mich wohl schon sehr glücklich schätzen, wenn ich eine Drei bekäme. Ich bin keine schlechte Schülerin. Ich habe einen Notendurchschnittvon 1.8, aber in erster Linie funktioniert meine rechte Gehirnhälfte.
    Der Chemie-Leistungskurs war eine Idee meiner Mutter gewesen. Dad mochte es gern, wenn ich am Küchentisch saß und an meinen Bildern arbeitete. Er sagte, es erinnere ihn an seine Zeiten auf der Kunstschule, bevor er sich entschieden hatte, Geistlicher zu werden, so wie sein Vater und Großvater zuvor.
    Doch Mom wollte ›mir alle Optionen offenhalten‹, was nichts anderes hieß, als dass sie gern gesehen hätte, wenn ich Psychologin werden würde oder Krankenschwester wie sie selbst.
    Ich ließ mich auf meinen Platz neben Pete Bradshaw fallen und wollte eben tief Luft holen und einen trägen Seufzer von mir geben, um mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen, als ich vom sauberen und würzigen Duft meines Chemielaborpartners überrascht wurde. Pete hatte in der fünften Stunde Sport gehabt und sein Haar war noch immer feucht von der Dusche. Der Zitrusduft seiner Seife und das frisch aufgetragene Deodorant waren mir schon früher aufgefallen, doch heute drangen sie mir richtig ins Bewusstsein und lösten das Bedürfnis aus, näher an ihn heranzurücken. Ich
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