Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unverstanden

Unverstanden

Titel: Unverstanden
Autoren: Karin Slaughter
Vom Netzwerk:
es da drin oder du hast es nicht.« Sie tippte sich dabei an die Schläfe, und Martin sah auf dem glänzend roten Nagel ihres rechten Zeigefingers eine goldene Applikation in Form eines Dollarzeichens.

    »Wir haben sehr viele Bewerbungen«, sagte Martin zu ihr, doch das war eine Lüge. Als er vor zwei Wochen die Anzeige aufgab, hatte er sich das Besprechungszimmer reservieren lassen, weil er erwartet hatte, dass die Bewerber sich die Klinke in die Hand geben würden. Er hatte sich mit dem »ABC der Bewerbungsgesprächsführung« schlau gemacht, damit er für die Einschätzung der Psyche und der Motivation des jeweiligen Kandidaten so bedeutsame Fragen stellen konnte wie etwa: »Was sind Ihre größten Stärken?« oder: »Wenn ich einen guten Bekannten von Ihnen fragen würde, was Ihre Schwächen sind, was würde derjenige dann antworten?«
    Der einzige andere Bewerber war ein Mann, der eine Stunde zu spät kam und Martin anschrie, man könne von ihm doch nicht erwarten, dass er nach der Stechuhr arbeite; eine erstaunliche Aussage, da es für Büroangestellte gar keine Stechuhr gab.
    »Wie viele Bewerbungen haben Sie?«, fragte Unique.
    »Na ja, ich … äh.« Martin spürte beim Schlucken seinen Kehlkopf hüpfen. »Viele. Einigeviele.« Er sprach es so aus, als hätten die beiden Wörter einen Bindestrich, und sie kniff die Augen zusammen, als könnte sie direkt in sein Herz sehen.

    Sie schüttelte den Kopf. »Nee«, sagte sie. »Sie geben mir den Job jetzt gleich. Ich kann nicht nach Hause gehen und neben dem Telefon warten. Ich habe noch andere Pflichten.«
    »Ich wollte nur …«
    »Wann soll ich aufkreuzen? Sagen Sie bloß nicht acht, weil diese Schönheit hier braucht in der Früh ein bisschen Zeit. Wissen Sie was ich meine?« Bei der letzten Frage warf sie ihre Zöpfe zurück. Das Klappern der eingeflochtenen Perlen erinnerte Martin daran, dass er in einem Sommerlager einmal eine Klapperschlange auf seiner Pritsche gefunden hatte. Zugegeben, sie erwies sich als Attrappe (doch leider erst, nachdem Martin schon das ganze Lager vor der gefährlichen Kreatur gewarnt hatte), aber ihr Schwanz hatte genauso geklappert.
    Sie suchte in ihrer Handtasche nach ihrem Schlüssel, als Martin ihr erklärte, dass man von allen Bürokräften erwarte, pünktlich um halb neun an ihren Schreibtischen zu sitzen. »Dann sehen wir uns am Freitag so gegen neun«, sagte sie ihm und stand auf. »Ich muss allerdings schon früh wieder weg, weil meine Nichte in der Stadt ist. Okay? Bis dann?«
    Sie war verschwunden, bevor er etwas erwidern konnte, ihr halb ausgetrunkener Mokka-Latte hatte
einen Ring auf dem Besprechungstisch hinterlassen. Ihr Geruch hing noch im Zimmer - eine klebrig-süßliche Mischung wie Zuckerwatte und Coca-Cola, die mit dem verwirrend heftigen Geruch wetteiferte, der aufgestiegen war, als sie ihre übereinandergeschlagenen Beine öffnete. Diese weibliche Komposition war ihm im Gedächtnis geblieben, und als Unique jetzt den Parkplatz überquerte, bekam er einen Hauch davon ab.
    »Wann lässte denn den ›Schlappschwanz‹ von deinem Auto wegmachen?«, fragte sie.
    Martin musste laufen, um mit ihr Schritt zu halten. Für eine so kräftige Frau bewegte sie sich mit erstaunlichem Tempo.
    »Ich habe schon angerufen bei …«
    »Sabatini wird dir nicht helfen, Trottel. Der hat so laut gelacht, als er hier war, dass ich schon dachte, der macht sich in die Hose.«
    Martin sagte nichts. Das mit dem In-die-Hose-Machen war unnötig, dachte er.
    »Du musst seinen Chef anrufen.«
    Sie sagte ihm immer, was er tun sollte. Fast alle ihre Sätze fingen mit »du musst« an. Martin würde sich nie trauen, ihr zu sagen, dass sie etwas tun müsse. Er war ihr Vorgesetzter und auch der Ältere, aber Unique war diejenige, die im Büro das Sagen hatte - sie brachte ihre Topfpflanzen mit
und stellte im Gemeinschaftsbereich Kerzen, Lufterfrischer und Fotos ihres Schoßhündchens auf.
    Zugegeben, tippen konnte sie schnell, und sie machte auch nicht allzu viele Fehler, was man allerdings bei der Fakturierung und Kollationierung von nicht flüssigen Produkten und Automatenartikeln, was ihr eigentlicher Job war, nicht behaupten konnte. Dabei konnte man VomiFort-Granulat und LadyTickler-Kondome nicht einmal ansatzweise mit den gigantischen Klopapierrollen und Toilettensitz-Schutzbezügen vergleichen, die Martin bearbeitete. Es war wie die Sache mit den Äpfeln und Birnen, wie er Norton Shaw oft sagte.
    Um das Ganze noch schlimmer zu machen, hatte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher