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Unterm Rad

Unterm Rad

Titel: Unterm Rad
Autoren: Hermann Hesse
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Fabrikler halb tot geschlagen haben, - wer nach Offenburg kommt, braucht bloß den langen Schorsch zu fragen, der ist noch dort und ist
    damals mitgewesen. Das alles wurde mit einem kühl-brutalen Ton, aber mit großem innerem Eifer und Wohlgefallen mitgeteilt, und jeder hörte mit tiefem Vergnügen zu und beschloß im stillen, diese Geschichte später auch einmal zu erzählen, anderswo bei andern Kameraden. Denn jeder Schlosser hat einmal seines Meisters Tochter zum Schatz gehabt und ist einmal mit dem
    Hammer auf einen bösen Meister losgegangen und hat einmal sieben Fabrikler elend
    durchgehauen. Bald spielt die Geschichte im Badischen, bald in Hessen oder in der Schweiz, bald war es statt des Hammers die Feile oder ein glühendes Eisen, bald waren es statt Fabriklern Bäcker oder Schneider, aber es sind immer die alten Geschichten, und man hört sie immer wieder gern, denn sie sind alt und gut, und machen der Zunft Ehre. Womit nicht gesagt sein soll, daß es nicht immer wieder und auch heute noch unter den Wanderburschen solche gibt, die Genies im Erleben oder Genies im Erfinden sind, was beides ja im Grunde dasselbe ist.
    Namentlich August war hingerissen und vergnügt. Er lachte fortwährend und stimmte zu, fühlte sich schon als halber Geselle und blies mit verächtlicher Genießermiene den Tabakrauch in die goldige Luft. Und der Erzähler spielte seine Rolle weiter, denn es kam ihm darauf an, sein Mitdabeisein als eine gutmütige Herablassung hinzustellen, da er als Gesell eigentlich am Sonntag nicht zu den Lehrlingen gehörte und sich hätte schämen sollen, dem Buben seine
    Batzen vertrinken zu helfen. Man war eine gute Strecke die Landstraße flußabwärts gegangen; jetzt hatte man die Wahl zwischen einem langsam steigenden, im Bogen bergan führenden
    Fahrsträßchen und einem steilen Fußweg, der nur halb so weit war. Man wählte die Fahrstraße, wenn sie auch weit und staubig war. Fußwege sind für den Werktag und für spazierengehende Herren; das Volk aber liebt, namentlich an Sonntagen, die Landstraße, deren Poesie ihm noch nicht verlorengegangen ist. Steile Fußwege ersteigen, das ist für Bauersleute oder für
    Naturfreunde aus der Stadt, das ist eine Arbeit oder ein Sport, aber kein Vergnügen fürs Volk.
    Dagegen eine Landstraße, wo man behaglich vorwärts kommt und dabei plaudern kann, wo man Stiefel und Sonntagskleider schont, wo man Wagen und Pferde sieht, andere Bummler antrifft und einholt, geputzten Mädchen und singenden Burschengruppen begegnet, wo einem Witze
    nachgerufen werden, die man lachend heimgibt, wo man stehen und schwatzen und ledigen
    Falles den Mädchenreihen nachlaufen und nachlachen oder des Abends persönliche Differenzen mit guten Kameraden durch Taten zum Ausdruck und Ausgleich bringen kann!
    Man ging also den Fahrweg, der sich in großem Bogen ruhig und freundlich berghinan zog wie einer, der Zeit hat und kein Schweißvergießen liebt. Der Geselle zog den Rock aus und trug ihn am Stock auf der Achsel, statt des Erzählens hatte er nun zu pfeifen begonnen, auf eine überaus verwegene und lebenslustige Art, und pfiff, bis man nach einer Stunde in Bielach ankam.
    Über Hans waren einige Sticheleien ergangen, die ihn nicht stark anfochten und von August eifriger als von ihm selber pariert wurden. Und nun stand man vor Bielach. Das Dorf lag mit roten Ziegeldächern und silbergrauen Strohdächern zwischen herbstfarbige Obstbäume
    gebettet, rückwärts vom dunklen Bergwalde überragt. Die jungen Leute wollten über das
    Wirtshaus, in das man einkehren wollte, nicht einig werden. Der »Anker« hatte das beste Bier, aber der »Schwan« die besten Kuchen, und im »Scharfen Eck« war eine schöne Wirtstochter.
    Endlich setzte August durch, daß man in den »Anker« gehe, und deutete augenzwinkernd an, das
    »Scharfe Eck« werde wohl während der paar Schoppen nicht davonlaufen und auch nachher noch zu finden sein. Das war allen recht, und so ging man ins Dorf, an den Ställen und an den mit Geranienstöcken besetzten niederen Bauernfenstern vorbei auf den »Anker« los, dessen
    goldenes Schild über zwei junge, runde Kastanien hinweg in der Sonne gleißend lockte. Zum Leidwesen des Gesellen, der durchaus innen sitzen wollte, war die Schankstube überfüllt, und man mußte im Garten Platz nehmen.
    Der »Anker« war nach den Begriffen seiner Gäste ein feines Lokal, also kein altes Bauern Wirtshaus, sondern ein moderner Backsteinwürfel mit zu vielen Fenstern, mit Stühlen statt
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