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Unterm Rad

Unterm Rad

Titel: Unterm Rad
Autoren: Hermann Hesse
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der Bänke und mit einer Menge von farbigen Reklameschildern aus Blech, ferner mit einer städtisch angezogenen Kellnerin und einem Wirte, den man niemals in Hemdärmeln, sondern stets in einem vollständigen braunen Anzug nach der Mode zu sehen bekam. Er war eigentlich bankrott, hatte aber sein eigenes Haus von seinem Hauptgläubiger, einem großen Bierbrauer, in Pacht genommen und war seither noch vornehmer geworden. Der Garten bestand aus einem Akazienbaum und
    aus einem großen Drahtgitter, das von wildem Wein einstweilen zur Hälfte überwachsen war.
    »Zum Wohl, ihr Leute!« schrie der Geselle und stieß mit allen dreien an. Und um sich zu zeigen, trank er das ganze Glas auf einen Zug leer.
    »Sie, schönes Fräulein, da war ja gar nix drin; bringen Sie gleich noch eins!« rief er der Kellnerin zu und streckte ihr über den Tisch weg das Schoppenglas entgegen.
    Das Bier war vorzüglich, kühl und nicht zu bitter, und Hans ließ sich sein Glas fröhlich schmecken. August trank mit Kennermiene, schnalzte mit der Zunge und rauchte nebenher wie ein schlechter Ofen, was Hans still bewunderte. Es war doch nicht so übel, so seinen fidelen Sonntag zu haben und am Wirtstisch zu sitzen wie einer, der es darf und verdient hat, und mit Leuten, die das Leben und das Lustigsein loshatten. Es war schön, mitzulachen und bisweilen selber einen Witz zu riskieren, es war schön und männlich, nach dem Austrinken sein Glas mit Nachdruck auf den Tisch zu knallen und sorglos zu rufen: »Noch eins, Fräulein!« Es war schön, einem Bekannten am andern Tische zuzutrinken, den kalten Zigarrenstumpen in der Linken
    hängen zu lassen und den Hut ins Genick zu schieben wie die andern.
    Der mitgekommene fremde Geselle begann nun auch warm zu werden und zu erzählen. Er wußte von einem Schlosser in Ulm, der konnte zwanzig Glas Bier trinken, von dem guten Ulmer Bier, und wenn er damit fertig war, wischte er sich das Maul und sagte: so, jetzt noch ein gutes Fläschle Wein! Und er hatte in Cannstatt einen Heizer gekannt, der zwölf Knackwürste
    hintereinander essen konnte und eine Wette damit gewonnen hatte. Aber eine zweite solche Wette hatte er verloren. Er hatte sich vermessen, die Speisekarte einer kleinen Wirtschaft durchzuspeisen, und er hatte auch fast alles verzehrt, aber am Schluß der Speisekarte kamen viererlei Arten Käse, und wie er bei der dritten war, schob er den Teller weg und sagte: jetzt lieber sterben als noch einen Bissen!
    Auch diese Geschichten fanden reichen Beifall, und es zeigte sich, daß es da und dort auf Erden ausdauernde Trinker und Esser gebe, denn jeder wußte von einem solchen Helden und seinen Leistungen zu erzählen. Beim einen war es »ein Mann in Stuttgart«, beim andern »ein Dragoner, ich glaub, in Ludwigsburg«, beim einen waren es siebzehn Kartoffeln gewesen, beim anderen elf Pfannkuchen mit Salat. Man brachte diese Begebenheiten mit sachlichem Ernste vor und gab sich mit Behagen der Erkenntnis hin, daß es doch vielerlei schöne Gaben und merkwürdige Menschen gibt und auch tolle Käuze darunter. Dies Behagen und diese Sachlichkeit sind alte ehrwürdige Erbstücke jedes Stammtischphilisteriums und werden von den jungen Leuten nachgeahmt so gut wie Trinken, Politisieren, Rauchen, Heiraten und Sterben.
    Beim dritten Glas fragte einer, ob es denn keine Kuchen gebe. Man rief der Kellnerin und erfuhr, nein, es gebe keine Kuchen, worüber alle sich schrecklich aufregten. August stand auf und sagte, wenn's nicht einmal Kuchen gebe, dann könne man ja ein Haus weiter gehen. Der fremde Geselle schimpfte über die miserable Wirtschaft, nur der Frankfurter war fürs Bleiben, denn er hatte sich ein wenig mit der Kellnerin eingelassen und sie schon mehrmals intensiv gestreichelt. Hans hatte zugesehen, und dieser Anblick samt dem Bier hatte ihn seltsam aufgeregt. Er war froh, daß man jetzt fortging.
    Als die Zeche bezahlt war und alle auf die Straße traten, begann Hans seine drei Schoppen ein wenig zu spüren. Es war ein angenehmes Gefühl, halb Müdigkeit, halb Unternehmungslust, auch war etwas wie ein dünner Schleier vor seinen Augen, durch welchen alles entfernter und fast unwirklich aussah, ähnlich wie man im Traum sieht. Er mußte beständig lachen, hatte den Hut noch etwas kühner schief gesetzt und kam sich wie ein ausbündig fideler Kerl vor. Der
    Frankfurter pfiff wieder auf seine kriegerische Art, und Hans versuchte, im Takt dazu zu gehen.
    Im »Scharfen Eck« war's ziemlich still. Ein paar Bauern
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