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Unterm Rad

Unterm Rad

Titel: Unterm Rad
Autoren: Hermann Hesse
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der Stadtpfarrer an seinem Schicksal teil. Sie erschienen sämtlich in Gehröcken und feierlichen Zylindern, begleiteten den Leichenzug und blieben am Grabe einen Augenblick stehen, untereinander flüsternd. Der Lateinlehrer sah besonders melancholisch aus, und der Rektor sagte leise zu ihm:
    »Ja, Herr Professor, aus dem hätte etwas werden können. Ist es nicht ein Elend, daß man gerade mit den Besten so oft Pech hat?«
    Beim Vater und der alten Anna, die ununterbrochen heulte, blieb der Meister Flaig am Grabe zurück. »Ja, so was ist herb, Herr Giebenrath«, sagte er teilnehmend. »Ich habe den Buben auch liebgehabt.« »Man begreift's nicht«, seufzte Giebenrath. »Er ist so begabt gewesen, und alles ist ja auch gutgegangen, Schule, Examen -und dann auf einmal ein Unglück übers andere!«
    Der Schuhmacher deutete den durchs Kirchhoftor abziehenden Gehröcken nach.
    »Dort laufen ein paar Herren«, sagte er leise, »die haben auch mitgeholfen, ihn so weit zu bringen.«
    »Was?« fuhr der andere auf und starrte den Schuster zweifelnd und erschrocken an. »Ja,
    sackerlot, wieso denn?« »Seien Sie ruhig, Herr Nachbar. Ich hab' bloß die Schulmeister gemeint.«
    »Wieso? Wie denn?«
    »Ach, nichts weiter. Und Sie und ich, wir haben vielleicht auch mancherlei an dem Buben versäumt, meinen Sie nicht?« Über dem Städtchen war ein fröhlich blauer Himmel ausgespannt, im Tale glitzerte der Fluß, die Tannenberge blauten weich und sehnlich in die Weite. Der Schuhmacher lächelte traurig und nahm des Mannes Arm, der aus der Stille und seltsam
    schmerzlichen Gedankenfülle dieser Stunde zögernd und verlegen den Niederungen seines
    gewohnten Daseins entgegenschritt.
    Zeittafel
    1877 geboren am 2. Juli in Calw/Württemberg als Sohn des baltischen Missionars und späteren Leiters des »Calwer Verlagsvereins« Johannes Hesse (1847-1916) und dessen Frau Marie verw.
    Isenberg, geb. Gundert (1842-1902), der ältesten Tochter des namhaften Indologen und
    Missionars Hermann Gundert.
    1881-1886 wohnt Hesse mit seinen Eltern in Basel, wo der Vater bei der »Basler Mission«
    unterrichtet
    und
    1883
    die
    Schweizer
    Staatsangehörigkeit
    erwirbt
    (zuvor:
    russische
    Staatsangehörigkeit).
    1886-1889 Rückkehr der Familie nach Calw (Juli), wo Hesse das Reallyzeum besucht.
    1890-1891 Lateinschule in Göppingen zur Vorbereitung auf das württembergische Landexamen (Juli 1891), der Voraussetzung für eine kostenlose Ausbildung zum ev. Theologen im »Tübinger Stift«. Als staatlicher Schüler muß Hesse auf sein Schweizer Bürgerrecht verzichten. Deshalb erwirbt ihm der Vater im November 1890 die württembergische Staatsangehörigkeit (als
    einzigem Mitglied der Familie).
    1891-1892 Seminarist im ev. Klosterseminar Maulbronn (ab Sept. 1891), aus dem er nach 7
    Monaten flieht, weil er »entweder Dichter oder gar nichts werden wollte«.
    1892 bei Christoph Blumhardt in Bad Boll (April bis Mai); Selbstmordversuch (Juni), Aufenthalt in der Nervenheilanstalt Stellen (Juni-August). Aufnahme in das Gymnasium von Cannstatt (Nov.
    1892), wo er
    1893
    im
    Juli
    das
    Einjahrig-Freiwilligen-Examen (Obersekundareife)
    absolviert.
    »Werde
    Sozialdemokrat und laufe ins Wirtshaus. Lese fast nur Heine, den ich sehr nachahmte.« Im Oktober Beginn einer Buchhändlerlehre in Esslingen, die er aber schon nach drei Tagen aufgibt.
    1894-1895 15 Monate als Praktikant in der Calwer Turmuhrenfabrik Perrot. Plan, nach Brasilien auszuwandern.
    1895-1898
    Buchhändlerlehre
    in
    Tübingen
    (Buchhandlung
    Heckenhauer).
    1896
    erste
    Gedichtpublikation in »Das deutsche Dichterheim«, Wien. Die erste Buchpublikation Romantische Lieder erscheint im Oktober 1898.
    1899 Beginn der Niederschrift eines Romans Schweinigel (Manuskript noch nicht aufgefunden).
    Der Prosaband Eine Stunde hinter Mitternacht erscheint im Juni bei Diederichs, Jena. Im September Übersiedlung nach Basel, wo Hesse bis Januar 1901 als Sortimentsgehilfe in der Reich'schen Buchhandlung beschäftigt ist.
    1900 beginnt er für die »Allgemeine Schweizer Zeitung« Artikel und Rezensionen zu schreiben, die ihm mehr noch als seine Bücher »einen gewissen lokalen Ruf machten, der mich im
    gesellschaftlichen Leben sehr unterstützte«.
    1901 Von März bis Mai erste Italienreise.
    Ab
    August 1901
    (bis
    Frühjahr 1903)
    Buchhändler im Basler Antiquariat Wattenwyl. Die
    Hinterlassenen Schriften und Gedichte von Hermann Lauscher erscheinen im Herbst bei R. Reich.
    1902 Gedichte erscheinen bei Grote,
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