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Unter uns Pastorentoechtern

Unter uns Pastorentoechtern

Titel: Unter uns Pastorentoechtern
Autoren: Fred Secombe
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betrachtete die dichtgedrängte Menge der Gläubigen, die erschienen war, um den neuen Vikar zu begutachten. Wir befanden uns mitten in dem Choral vor der Predigt. Er wurde mit einem halben Auge auf dem Gesangbuch und den anderen anderthalb Augen auf dem Prediger gesungen. Die Junisonne drang durch die Fenster und begann meine Zuhörer zu rösten. Die Verlegenheit verbündete sich mit der Temperatur, um sichtbare und unsichtbare Rinnsale aus Schweiß auf meiner Erscheinung zu erzeugen. Plötzlich fiel mir die hochgewachsene Gestalt von Mr. Bertie Owen auf, dem Kirchenältesten, der mir vom rückwärtigen Ende des Kirchenraumes aus Handzeichen gab. Ich beschloß, meinen Blick in die Bibel auf dem Lesepult zu richten, in der Annahme, er würde, wenn ich ihn ignorierte, seine Kapriolen unterlassen. Zwecklos. Als die Gemeinde sich gesetzt und ich mit meiner Predigt begonnen hatte, setzte er seine seltsamen Handzeichen fort. Ich beschloß, ihn anzusehen und zu nicken. Das hatte den gewünschten Erfolg. Ein zufriedenes Lächeln breitete sich über sein rötliches Gesicht, und das Gewinke hörte auf.
    Kurz darauf stolzierte er zur ersten Kirchenbank, schob eine kleine Dame zur Seite, stieg auf die Sitzfläche und öffnete das obere Kippfenster. Diese Prozedur wurde noch fünf weitere Male wiederholt, bis alle Fenster offen waren. Indessen hielt ich meine Predigt vor den Hinterköpfen der Gemeinde. Alle hatten sich umgedreht, um zuzuschauen, wie Bertie mit einem Bein in der Luft wie ein Zirkusartist auf den Bänken balancierte.
    Nachdem diese Aufgabe bewältigt war, ließ er sich hinten auf einen Stuhl nieder, lächelte mich wohlwollend an und nickte nach jedem Satz, den ich sagte, mit dem Kopf. Das ging so ungefähr fünf Minuten lang, bis er zu der Ansicht kam, daß ich nun lange genug gesprochen hätte. Er erhob sich von seinem Platz und ging hinüber zu einem Regal, auf dem er die Kollektenteller aufbewahrte. Sodann händigte er die vier Behälter ausgewählten Gliedern der Gemeinde aus, jeweils begleitet von einer geflüsterten Anweisung.
    Als er beim vierten Flüstern angelangt war, war meine Geduld erschöpft. Ich brach meine Predigt ab und starrte ihn an. Als er merkte, daß der Strom der Worte von der Kanzel versiegt war, hob er seinen Kopf und stellte fest, daß ich ihn finster anfunkelte. „Entschuldigen Sie, Herr Vikar“, dröhnte er. „Machen Sie weiter, wir sind ganz Ohr.“
    Das war der Gnadenstoß für mich. „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen“, sagte ich und kündigte den Kollektenchoral an. Die vier Einsammler nahmen die Kollekte ein, während ich mich auf den nächsten Teil des Gottesdienstes vorbereitete. Als nächstes ergriff ich den Opferbehälter, um die Gaben der Gemeinde entgegenzunehmen. Die vier Männer, die hinten standen, nahmen Haltung an, schauten sich gegenseitig auf die Füße, um zu sehen, ob sie auch im Gleichschritt waren, und marschierten den Mittelgang entlang. Zu meiner Überraschung folgte ihnen Bertie, der die Nachhut bildete, zwar ohne Kollektenteller, aber dafür mit dem Selbstbewußtsein und der militärischen Haltung eines Regimenthauptfeldwebels.
    Die Einsammler leerten ihre Einnahmen nacheinander in den Opferbehälter. Ich wollte gerade das eingesammelte Geld darbieten, als Bertie rasch ein paar Schritte vortrat.
    „Sie haben also die Anzahl“, sagte er.
    „Was für eine Anzahl?“ fragte ich.
    „Sie wissen schon — die Anzahl der Kommunikanten — siebenundachtzig. Ich habe Ihnen doch die Zeichen gegeben.“ Sein Tonfall war tadelnd.
    „O ja, danke“, sagte ich und wandte mich zum Altar, um die Kollekte darzubieten. Als ich das Gebet beendet hatte, stieß Bertie, nicht ganz sotto voce , ein „Kehrt marsch!“ hervor, und das Quartett der Einsammler vollführte ein militärisches Manöver, das eines Wachwechsels am königlichen Palast würdig gewesen wäre. Offensichtlich bildete dies einen der Höhepunkte eines jeden Gottesdienstes.
    Dieselbe militärische Präzision waltete, als die Zeit für die Verabreichung des geweihten Brotes und Weines kam. Bertie marschierte durch den Mittelgang bis zur vordersten Reihe und ließ die Kommunikanten nach Sitzbänken genau abgezählt vortreten. Als die letzte Bank an der Reihe war, stellte sich Bertie selbst als letzter Kommunikant am Ende an.
    Als ich mich anschickte, dem knienden Küster den Kelch zu reichen, fing er wieder an zu flüstern. „Brauchen Sie Hilfe?“
    „Wieso Hilfe?“ fragte
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