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Unter Tage

Unter Tage

Titel: Unter Tage
Autoren: Thomas Ziegler
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dachte, alles wäre ohne Risiko. Das sagten doch die Werber, nicht wahr? Kein Risiko. Das sagten sie doch?«
    Corton hustete unterdrückt. »Alles ohne Risiko. Alles abgesichert.«
    »Aber wie konnten dann die Stollen einstürzen? Wie konnte dann so etwas überhaupt geschehen?«
    »Es gibt viele Gründe.« Corton spuckte auf den Boden. »Viele Erklärungen.«
    Benner schüttelte den Kopf. »Nein, sie haben zugesagt, mit ihren technischen Möglichkeiten ist jeder Unfall ausgeschlossen. Fünftausend Meter in die Tiefe, sagten sie. Die Erde wird um das Bergwerk mit einem spezialbehandelten, hitzehemmenden Kunststoff präpariert und mit dem neuen Stahlplastik abgestützt. Keine Risiken, alles perfekt geplant, bis ins Winzigste durchprogrammiert. Wir könnten so sicher arbeiten wie unter freiem Himmel, hieß es. Und dann das! Obwohl die Werber gesagt hatten, es sei unmöglich.«
    »Zufälle, kleine Nichtigkeiten, die man übersehen hat. Oder ein unvorhergesehenes Erdbeben, eine Gesteinsverlagerung hervorgerufen durch die Bohrungen. Viele Gründe, viele Erklärungen.«
    »Sie haben uns betrogen!« widersprach Benner zornig. »Sie haben uns Lügen vorgesetzt, damit wir die gefährliche Arbeit übernehmen; die Arbeiten, die keine ihrer ungeschlachten Maschinen machen kann. Verrückt, einfach verrückt! Fünftausend Meter unter Tage Uran abbauen! Einfach verrückt!«
    »Es ist notwendig«, sagte Corton ohne rechte Überzeugung. »Alle anderen Reserven sind verbraucht. Sie wissen das doch auch, Benner! Man hat es doch oft genug in den Nachrichtensendungen gebracht. Die Erde benötigt das Uran!«
    »Pah!« machte Benner. »Wer benötigt es, frage ich, wer? Sie? Ich? Die anderen Leute vielleicht, die wir kennen? Nein, wir brauchen es nicht. Wissen Sie, wer es braucht, Corton? Die Herren der Bergwerksgesellschaft benötigen es! Die Herren von den Energiekonzernen! Die von ihnen abhängigen Regierungen! Aber nicht ich! Nicht Sie!«
    »Wir brauchen Strom! Energie! Sonst bricht alles zusammen!«
    »Was bricht zusammen?« ereiferte sich Benner. »Wir? Wir nicht! Wieviel Strom dürfen Sie denn pro Monat in Ihrem Wohnheim verbrauchen, Corton? Ein paar lächerliche Kilowattstunden! Mehr nicht! Weil Sie nicht mehr bezahlen können! Soll ich Ihnen verraten, was zusammenbricht? Es sind die Konzerne mit ihren vollautomatischen Maschinenparks! Die Glitzerfassaden der Kaufhauspaläste mit ihren für uns unerschwinglichen Luxuswaren erlöschen, die unterirdischen, vollklimatisierten Substädte der Reichen und Mächtigen, unberührt von Krankheiten, Luftverschmutzung und Bodenerosion, hören auf zu funktionieren! Aber wir brechen nicht zusammen, Corton! Wir brauchen das Uran nicht!«
    Corton fragte ärgerlich: »Warum arbeiten Sie dann überhaupt hier?«
    »Weil ich sonst nirgendwo Arbeit bekommen habe! Weil es außer mir infolge der Automatisierung und Rationalisierung noch Millionen anderer Arbeitslose gibt und deshalb die Unterstützungsgelder immer geringer werden und man von ihnen kaum leben kann! Darum arbeite ich hier, Corton! Weil man gesagt hat, dies sei ein sicherer Arbeitsplatz, guter Verdienst, gute Werksverpflegung, gute Krankenversorgung! Und kein Risiko, kein Risiko!«
    »Bin ich dafür verantwortlich?«
    Benner schluckte. »Nein, nein, selbstverständlich nicht! Aber wir tun nichts dagegen, wir lassen uns einfach alles gefallen! Wir lassen uns gefallen, daß man uns nur benötigt, weil ihre Maschinen diese Arbeiten nicht verrichten können. Wir lassen uns gefallen, daß man uns abschiebt, wenn wir keinen hohen Gewinn mehr erbringen oder wenn wir ihre Methoden kritisieren. Wir lassen uns alles gefallen, und nun hocken wir hier in der Nacht und warten darauf, daß man uns herausholt, hocken hier und sterben vielleicht, ohne die Sonne jemals wiedergesehen zu haben! Und weshalb, Corton? Weshalb?«
    »Nun?«
    »Wegen ein paar lumpiger Brocken Uran, die uns keinen Nutzen bringen! Wegen ein paar Brocken Uran im Werte von einigen Millionen Mark und wegen einem almosenhaften Monatslohn von viertausend, wo eine einzige Mahlzeit bereits schon fünfzig Mark kostet! Darum hocken wir hier!«
    Benner schluchzte. Durch den Staub auf seinen Wangen fraßen sich salzige Tränen.
    »Sie dürfen so etwas nicht sagen!« drängte Corton hilflos. »Sie dürfen so etwas nicht denken! Sie dürfen das nicht!«
    »Warum nicht?« fuhr Benner auf. »Warum soll ich das nicht sagen, nicht denken?«
    Corton nahm eine andere Stellung ein. »Es ist gefährlich,
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