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Unter Tage

Unter Tage

Titel: Unter Tage
Autoren: Thomas Ziegler
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fauchte Benner nervös.
    Jemand räusperte sich, dann eine kraftlose, leise Stimme: »Schon gut, Benner, regen Sie sich nicht auf! Mir ist nur etwas Erde auf die Brust gefallen. Jetzt geht es mir schon wieder besser. Alles in Ordnung!«
    Benner seufzte erleichtert. »Ich dachte bereits, Sie wären hinüber. Wie die anderen. Wieviele mag es wohl erwischt haben? Ich frage mich, ob welche genauso viel Glück hatten wie wir.«
    In der Dunkelheit war zu hören, daß Corton sich stöhnend aufsetzte. Er sagte nichts.
    »Ich möchte wissen, ob es die anderen Stollen auch erwischt hat«, fuhr Benner eilig fort. Er redete hastig, als fürchte er sich vor dem Schweigen. Vor dem Schweigen und der Dunkelheit. »Genug Erschütterungen hat es ja gegeben. Weiß Gott! Und dann waren wir völlig abgeschnitten. Zwei lebende Sardinen in einer begrabenen Sardinenbüchse. Ich frage mich, wie lange die Luft reichen wird. Wie groß ist unsere Höhle? Wissen Sie, wie groß unsere Höhle ist?« Corton räusperte sich wieder. »Nein, Benner, ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie groß die Höhle ist.«
    »Wir müssen es herausfinden. Wir müssen irgendwie herausfinden, wieviel Luft wir noch zur Verfügung haben. Das ist wichtig, Corton, verstehen Sie?«
    »Ja, natürlich, ich verstehe. Aber was ändert das? Ich kann mir nicht vorstellen, daß das etwas ändern würde. Kommt die Bergungsmannschaft rechtzeitig, dann werden wir gerettet. Kommt sie zu spät, hilft uns dieses Wissen auch nicht weiter.«
    »Verdammte Sauerei!« fluchte Benner. »Verdammte Sauerei!«
    Für eine Weile herrschte Stille, die ab und zu vom Knacken des Erdreichs, von den Geräuschen des arbeitenden Gerölls und den tiefen, schlürfenden Atemzügen der beiden Männer durchbrochen wurde. Klamm und kalt nistete sich die Dunkelheit in den Augen ein.
    »Haben Sie eine Lampe, Corton?« Benner suchte ungeschickt in den Taschen seiner Arbeitsmontur. »Ich glaube, ich habe meine verloren. Und etwas Licht würde uns jetzt gut tun. Es ist die Dunkelheit, die mir nicht gefällt. Ich mochte nie die Nacht. Man sieht dann zu viele Bilder! Viel zu viele Bilder, Corton. Da ist mir der Tag schon lieber. Er ist freundlicher, nicht so drohend, so feindlich und tot.«
    »Nein, keine Lampe«, antwortete Corton, »Sie ist zerbrochen. Kein Licht.«
    Benner nagte an seiner Oberlippe. »Daß ausgerechnet uns das passieren mußte! Ausgerechnet uns! Wo ich doch verabredet bin für heute Abend! Mit einem Mädchen. Aber nun sitze ich hier in diesem Loch und glotze die Dunkelheit an. Ist das gerecht? Halten Sie das für richtig?«
    Corton hustete mehrmals. »Nein, ich glaube nicht, daß das gerecht ist.«
    Benner schnaubte wütend. »Natürlich ist das nicht gerecht! Das ist eine hundsgemeine Ungerechtigkeit!« Er wischte sich über die Stirn. »Fühlen Sie einmal, ob sich neben Ihnen die Höhle fortsetzt oder ob sich da eine Wand befindet, wegen der Größe und der Luft, ja?«
    Corton tastete geräuschvoll umher. »Nein, hier ist nichts. Alles frei.«
    »Dann suchen Sie doch weiter! Suchen Sie gefälligst weiter, Mann! Wir müssen herausfinden, wieviel Platz wir haben. Und wieviel Luft. Los, suchen Sie! Ich kümmere mich um meine Seite!«
    Vorsichtig krochen die Männer in die Schwärze hinein, nach rechts, nach links, tasteten, fühlten, suchten.
    »Hier ist es zu Ende!« verkündete Benner schließlich. »Höchstens vier Meter von meinem Platz entfernt. Und Sie? Wie weit sind Sie gekommen?«
    »Ungefähr acht Meter!«
    Benner kroch an der unregelmäßig geformten Mauer aus eingestürztem Deckenmaterial und Gestein entlang, vorsichtig, bedächtig, bemüht, so wenig heftige Bewegungen wie möglich zu machen.
    »Knapp acht Meter breit«, stellte er mit zufriedener Stimme fest.
    »Das ist die Breite des Stollens.«
    »Hier auch«, berichtete Corton. »Also ist rechts und links von uns der Tunnel eingestürzt. Dann müßte die Höhe unseres unversehrten Abschnitts vier Meter betragen.«
    Benner tastete sich zu seinem Platz neben Corton zurück. »Lassen Sie mich rechnen. Das sind zwölf mal acht mal vier, das sind …«
    »Dreihundertvierundachtzig Kubikmeter«, sagte Corton.
    »Ja, stimmt genau. Eine ganze Menge, nicht wahr? Finden Sie nicht auch, daß das eine Menge ist?«
    »Ja, eine ganze Menge«, bestätigte Corton.
    »Wie lange? Wie lange wird es reichen? Wissen Sie das: Wieviel Luft verbraucht ein Mensch in der Minute? Haben Sie eine Ahnung, wieviel Luft ein
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