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Unter der Hand (German Edition)

Unter der Hand (German Edition)

Titel: Unter der Hand (German Edition)
Autoren: Dagmar Leupold
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Ölungen legten, Weihrauch jedenfalls machte mich auch später ganz zahm. Ich stelle mir den Priester bärtig vor, er beugt sich über das rot angestrahlte Etwas, murmelt Gebete, schwenkt Kännchen und schielt nach der jüngsten Nonne. Die hat wenigstens Zukunft.
    Übrigens ist mein linker kleiner Finger zurückgeblieben, ich meine, im Wachstum zurückgeblieben. Äußerlich ist er der einzige Hinweis auf die viel zu frühe Geburt. Er könnte einer Fünfjährigen gehören, alle Versuche, Klavier zu spielen, scheiterten an ihm. Zu kurz für eine Oktave. Das finde ich bemerkenswert, weil im Regelfall die Gründe für ein Scheitern entweder im Dunkeln liegen oder so vielfältig sind, dass sie unverstanden bleiben. Ich habe den Schuldigen immer zur Hand. Gab es nicht einmal einen Film, in dem der Held keinen Lebenslauf vorlegte, sondern eine Summe seiner Pannen und gescheiterten Anläufe? Dieses Curriculum war beträchtlich länger als die Erfolgslisten, die Bewerbungen beiliegen. Bei mir wäre eine solche Einschätzung von Geburt an schwierig: Sollte ich sie als Erfolg oder Misserfolg verbuchen? Leicht hätte ich in späteren Jahren das Krankenhaus aufsuchen können, ich habe es nie getan. Ich halte nichts von Ortsterminen. Außer von denen auf Papier, denen, die schwarz auf weiß stattfinden so wie hier.
    Ich schreibe das auf, während ich mich auf einem Liegestuhl sonne, das gleichmäßige Plätschern des Massagestrudels im Schwimmbecken begleitet den Gesang der Zikaden. Der
Agroturismo
, den die Italiener sich für ihre schönsten Landstriche haben einfallen lassen, ist eine wunderbare Idee: Man hat die Illusion von Landleben – Pfirsiche reifen an den Bäumen, Traktoren fahren in einiger Ferne, Wein rankt – und ist so vom reinen Touristendasein mit Zwang zum Pauschalen erlöst, schließlich lebt man mitten in einer Arbeitswelt. Was nichts daran ändert, dass es eine Rezeption gibt, Badetücher und Rechnungen. Hier, unter den schattenspendenden, geradezu segnenden handtellergroßen Blättern des Feigenbaums ist nur Sanftmut möglich. Unter einem solchen Baum hatte Augustinus sein Bekehrungserlebnis; dergleichen wissen wir aus anspruchsvollen Kreuzworträtseln (unter der Krone dieses Baums – 10 Buchstaben – wandte sich der Kirchenvater vom Heidentum ab). Nun, bekehrt bin ich nicht, wozu auch, aber dankbar. Ich werde ab nun für meine schwarzen Seiten entlohnt. Ein simples Geschäftsmodell, vom Mäzen, den ich gleich vorstellen werde, erdacht: Wenn ich dieses paradiesähnliche, von zarten Hügeln durchzogene Anwesen in der Toskana verlasse, werde ich Glücksmissionarin. Wäre es nicht so missverständlich, würde ich sagen: Freudenmädchen. Das ist die Abmachung. Ich bin die Schwester von Hans im Glück. Kein Naturtalent, aber lernwillig.
    Durch meine geschlossenen Lider scheint die Sonne: Auf dieser Leinwand laufen Filme mit gutem Ausgang, nichts entzweit sich, alles versöhnt sich. Ginsterduft in der Nase, raschelndes Pappellaub über mir, zwischen den Fingern zerreibe ich eine Lavendelknospe. Die Schwalben üben den Absturz. Natürlich vergeblich. Immerhin sind wir in Italien. Wer traurig ist, soll scherzen. Hat mein Mäzen gesagt, der mich für diese Anstrengung bezahlt. Genauer gesagt: Aushalten wird. Nur im guten Sinn des Worts. Nach meiner Rückkehr aus diesem paradiesischen Ort, in dem ich mich zur Rehabilitation aufhalte, eine Seelen-Invalidin mit Aussicht auf Besserung. Denn das Frühchen plante einen frühen Abgang, aber der Hang zur Panne setzte sich durch. Es überlebte ein weiteres Mal, diesmal ohne Rotlicht.
    Bei der Niederschrift dieser traurigen Zeilen ruft in der Ferne, dort, wo sich die Mauern des etruskischen Städtchens vom zarten Graublau des Maihimmels kaum abheben, ein Kuckuck. Immer wieder rührt es mich, wie wortwörtlich sein Ruf dem in Kinderbüchern nachzulesenden entspricht: Kuckuck. Bei allen anderen Tieren sind es Annäherungen, kein Hund macht wauwau, keine Katze miau, nur Kinder, die Hunde oder Katzen spielen, tun das. Diese schöne Übereinstimmung macht mich zufrieden. Die Muskeln, die man zum Lächeln braucht, treten in Aktion, ich spüre es unter der Wärme der Sonnenstrahlen. Wenn ich die Augen spaltbreit öffne, sehe ich meine Füße, leicht gebräunt. Mir scheint, sie wippen im Takt der Brise, die uns – mich, das Wasser, den Ginster, die kaum stecknadelgroßen Oliven – streift. Das, denke ich, wird irgendwann die letzte Aussicht sein. Es begann mit vierzig Zentimetern
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