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Unter der Hand (German Edition)

Unter der Hand (German Edition)

Titel: Unter der Hand (German Edition)
Autoren: Dagmar Leupold
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gewittrig. Das Licht ist verschleiert, die Schwalben rasen tief, die Wolken haben schmutzige Ränder. Das bedeutet, dass ich mich nicht am Schwimmbad auf die Lauer legen kann, und es bedeutet vermutlich, dass die Cappuccino-Gruppe ihrem Namen alle Ehre macht und den Vormittag nicht mit Radfahren bei Blitz und Donner verbringt, sondern bei Cappuccino. Meine strategische Wahl fällt auf die Bar, in der das Frühstücksbuffet aufgetischt wird. Ich setze mich in den überdachten Terrassenbereich; die weißen Plastikstühle
Made in Taiwan
phosphoreszieren gegen den dunklen Himmel. Höllenmöbel, so wie sie an der Haut kleben und sich mit unanständigem Schmatzen wieder von ihr lösen, wenn man aufsteht. Windböen stöbern in den Oleanderbüschen, die aufgescheuchten Blüten wirbeln in den Luftstrudeln. Ich bin die einzige. Und, wenn Claudia nicht sofort kommt,
mutterseelenallein
. Das Wort soll uns Deutschen erst einmal jemand nachmachen.
    Oreste erscheint im Türrahmen zum Innenbereich. Ich sehe ihn das erste Mal ganz ohne seine Koch-Kluft; er trägt ein schlammfarbenes Polohemd und dunkle Leinenhosen, die reine Weiß-Vermeidung, denke ich, vermutlich ziehen auch Krankenschwestern und Pfleger in ihrer Freizeit nichts Weißes an. Mich verwirrt es. Er grüßt, seine Augen legen sich so sanft auf mich wie ein heilender Salbenverband, die Lippen tragen das
ciao
kaum hörbar nach. Jetzt verstehe ich, warum er so jung und kindlich aussieht: Man sieht nicht einmal einen Anflug von Bart, die Haut ist glatt und frisch, als verjüngten die Dampfbäder über den brodelnden Kochtöpfen sie täglich. Oreste trägt keine Spuren des Gebrauchs. Ich fühle mich in den Stuhl gedrückt von der Wucht schlagartigen Alterns.
    Oreste geht, wieder mit dieser eigentümlichen Drehung auf dem Absatz, und ich kann erkennen, dass er die weißen Kochschlappen trägt, deren Oberfläche ziemlich bekleckert ist. Zum Abschied in den Augen eine Art Aufblenden, ähnlich dem Fernlicht bei Autos. Ich hebe die Hand, bin wieder mit dem Gewitter allein. Der Schaum des Cappuccino hat sich an den Seitenrändern der Tasse abgelagert wie Seifenreste um den Abfluss in der Dusche.
    Ich bestehe auf Claudia. Oder ich gehe.
    Nach zwei weiteren Blitzen und einem krachenden Donnern erhebe ich mich und schlage den Weg in die Rezeption ein, mit keinem anderen Beweggrund als der Überzeugung, dass man auch Drohungen wahr machen muss. Widerwillig schreite ich aus, dicke Tropfen zerplatzen vor meinen Füßen, irgendwie höhnisch, als hätte der liebe Gott sie geschickt, mich ins Off zu eskortieren.
    Auf den letzten Metern schüttet es so heftig, dass ich bis auf die Haut durchnässt die Tür zur Rezeption aufstoße. In der Mitte des großen, hallenartigen Raums verläuft halbrund eine Theke, zwei Frauen, gekleidet wie Flugbegleiterinnen, tippen energisch in die Tastaturen vor zwei Bildschirmen, ein Telefon zwischen Ohr und Schulter geklemmt. Ebenfalls synchron lächeln sie mich an,
si accomodi
, mit dem Kinn weisen sie auf eine Schachtel mit Papiertaschentüchern. Ich wische mein Gesicht ab, Hals und Arme, aber meine Bewegungen fügen sich nicht ein in die fließende Choreographie dieses harmonischen Schwestern-Duos.
    Die Telefonate sind beendet, das Tippen auch, und ich werde von beiden nach meinen Wünschen gefragt. Dafür sind sie eigens aufgesprungen, das setzt mich unter Druck, ich brauche einen echten Grund für mein nasses Auftreten. Ob sie außer Fahrrädern auch anderes vermieteten? Die freundliche Rezeptionistin zu meiner Linken fragt nach: Zum Beispiel? Und ich sage tatsächlich:
Pferde
.
    In den wenigen Augenblicken, die mir bleiben, weil die beiden Schwestern sich ratlos anschauen und synchron die Achseln zucken, bevor sie sich mit zurechtgerückter Empfangsdamenmiene wieder mir zuwenden, läuft folgender Film in meinem Kopf ab:
    Die Insel Nonnenau (Nonnen – schon wieder!!) im Rhein, mückenverseucht, Dickicht, Unterholz, Gestank nach Vergorenem. Mangrovensumpf ohne Mangroven. Von der Fähre ein halber Kilometer Fußweg, dann erreicht man einen heruntergekommenen Ponyhof, drei, vier Fjordpferde mit fahlem Fell, das gebürstet werden muss, bevor wir, die Freundin und ich, uns in den Sattel schwingen dürfen. Der Ausflug findet heimlich statt, Reiten ist verboten, die Angst klebt am ganzen Körper. Vor den Tieren, die die Augen rollen und versuchen zu beißen, vor der Mutter und ihren guten Gründen, so etwas
zu verbieten
.
    Wenn man Pferde sattelt, blähen sie
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