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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio
Autoren: Ana Veloso
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der lüsternen Blicke der Männer an den Nachbartischen begegnen zu müssen.
    Seit Marie und dieser Schuft Maurice sie hier allein zurückgelassen hatten, musste etwa eine halbe Stunde vergangen sein, wenn man nach der Anzahl der Tanznummern ging. Ana Carolina kam es vor wie eine Ewigkeit. Sie wünschte sich inständig, dass die beiden draußen in der beißenden Februarkälte an ihren Mündern zusammenfroren. Und dass sie sich eine schwere Erkältung zuzogen, ach was, eine Lungenentzündung! Sie würde jetzt noch höchstens weitere drei der erschütternd schlechten Darbietungen über sich ergehen lassen, und wenn die beiden bis dahin nicht wieder auftauchten, dann würde sie gehen. Für ein Taxi würde ihr Budget noch eben so reichen.
    Ihr Glas war schon wieder leer. Ana Carolina kramte umständlich in ihrer Handtasche herum, einem mit Fransen besetzten Satintäschchen ihrer Tante, um ihre Barschaft zu überprüfen. Nein, einen weiteren Champagner konnte sie sich nicht leisten, wenn sie noch die Heimfahrt bezahlen wollte. Verflucht! Sie hängte die Tasche wieder an den Stuhlrücken und widmete sich dann intensiv dem weißen Tischtuch. Mit einem Streichholz zeichnete sie geometrische Formen hinein. Warum hatte sie nicht selber einen Verehrer? Nicht so einen Einfaltspinsel wie Maurice, nein, einen kultivierten, womöglich exzentrischen Mann, der ihr etwas wirklich Spannendes bieten konnte? Wäre sie zwanzig Jahre früher in Paris gewesen, hätte sie mit ihrem Landsmann Alberto Santos-Dumont in seinem Luftschiff »La Baladeuse« vor dem »Maxim’s« landen können. Das waren noch Zeiten gewesen! Da hatten die Menschen noch Stil besessen. Aber heute? Sie sah nichts als vulgäres Pack und billige Vergnügungssucht.
    Als die Musik immer schwülstiger wurde und das Gejohle der Männer immer lauter, gab sie sich einen Ruck. Warum sollte sie eigentlich noch länger warten? Es war ja nicht so, als würden Marie und Maurice sie für irgendetwas brauchen. Als sie in dem »Cabaret«, das den Namen nicht verdiente, angekommen waren, hatten sie kurze Zeit geplaudert und sich noch der Illusion hingegeben, es könne ein vergnüglicher Abend für alle werden, doch selbst dieses harmlose Gespräch hatten Marie und Maurice fast zur Gänze unter sich bestritten. Ein Küsschen hier, ein Wimpernflattern dort, eine laszive Pose, ein zweideutiger Witz – und schon waren sie nach draußen entschwunden, »um frische Luft zu schnappen«.
    Als Ana Carolina aufstand, wurde ihr schwindelig. Herrje, erst jetzt merkte sie, wie beschwipst sie wirklich war. Sie hielt sich an der Tischkante fest, bis sie glaubte, ihr Gleichgewicht gefunden zu haben. Dann hängte sie sich ihre Tasche über die Schulter und bewegte sich vorsichtig, das Kinn nach oben gereckt und die schmal gezupften Augenbrauen zu einem arroganten Bogen gehoben, durch die Stuhlreihen. Hoffentlich merkte man ihr nicht an, wie schwer es ihr fiel, nicht zu torkeln.
    Wenige Sekunden später stolperte sie über eine Jacke, die von der Stuhllehne ihres Besitzers herabgefallen war. Ana Carolina landete praktisch auf dem Schoß seines Sitznachbarn.
    »Hoppla! Nicht so stürmisch, meine Schöne«, sagte der Mann und gab ihr einen Klaps auf ihr Hinterteil.
    »Finger weg, Dreckskerl!«, schimpfte sie.
    Die anderen Personen an dem Tisch brachen in lautes Gelächter aus, während der Grabscher Ana Carolina konsterniert ansah. »Nun aber mal halblang, du kleine Hexe. Für was hältst du dich eigentlich? Allein und betrunken durch den Saal taumeln, und dann …« Weiter kam er nicht, denn ein junger Mann war neben Ana Carolina aufgetaucht und hielt ihr die Hand hin.
    »Schatz, wo hast du denn gesteckt? Komm mit.«
    Sie reichte ihm ihre Hand und ließ sich bereitwillig fortführen. Sie fühlte sich merkwürdig benommen, was nicht allein auf den übermäßigen Alkoholgenuss zurückzuführen war. Der Schreck über ihr kleines Malheur saß ihr noch in den Knochen, dazu kam die Verwunderung über ihre überraschende Rettung. Ohne ein weiteres Wort miteinander zu wechseln, durchquerten sie den Raum. Ana Carolina betrachtete den Fremden, dessen Hand sie so vertrauensselig ergriffen hatte. Er sah blendend aus mit seinem pomadisierten schwarzen Haar und seinen kantigen Gesichtszügen. Er war sehr elegant gekleidet und passte überhaupt nicht in dieses drittklassige Nachtlokal. Sonderbar, dass er ihr nicht schon früher aufgefallen war.
    Erst als sie die Eingangshalle des Etablissements erreichten, richtete
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