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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio
Autoren: Ana Veloso
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feuchte, stickige Hitze entgegen. Die Luft roch abgestanden und nach schalem Alkohol. Doch die Wärme und das Duftgemisch waren beruhigend und irgendwie tröstlich. Es war sehr voll in dem Lokal, so dass sie einen Moment brauchte, um sich zu orientieren und die Gesichter an den Tischen zu studieren. Einen Mann, der allein saß, entdeckte sie nirgends. Erst als sie sich Richtung Tresen wandte, sah sie ihn.
    Ja, das war er. Unverwechselbar, selbst im Profil. Und attraktiver, als sie ihn in Erinnerung hatte.
    Er hatte ihr Eintreffen noch nicht bemerkt, so dass sie ihn in aller Ruhe betrachten konnte. Sein schwarzes Haar war zerzaust, seine Kleidung viel legerer als bei ihrer ersten kurzen Begegnung. Er sah blendend aus, obwohl er ein wenig trübsinnig in sein Weinglas starrte. Ana Carolinas Herz begann zu rasen. Was war eigentlich in sie gefahren, dass sie sich hier mit einem Unbekannten traf? Ob sie nicht doch noch schnell umkehren und nach Hause fahren sollte? Sie wusste nichts, rein gar nichts über diesen Mann, außer dass er immerhin Kavalier genug gewesen war, sie aus dem unsäglichen Cabaret zu retten und ihr das Taxi zu spendieren. Ihr fielen all die grässlichen Geschichten ein, mit denen Tante Joana sie zu ängstigen pflegte: von Sittenstrolchen, Entführern und Mädchenmördern, die offenbar alle auf ein Opfer wie sie aus waren, nämlich eine hübsche und viel zu arglose junge Frau.
    Gerade als Ana Carolina sich einredete, dass sie nun eigentlich gar nicht mehr in der Stimmung für ein Rendezvous war, drehte Antoine sich auf seinem Barhocker um. Ihre Blicke trafen sich. Ana Carolina war wie elektrisiert. Wie konnte ein einziges Lächeln ein Gesicht derart verändern? Während Antoine vorher von einer klassischen, strengen Schönheit gewesen war, sah er nun, mit seinem breiten Strahlen, herzlicher, jünger und noch umwerfender aus. Sie konnte nicht anders, als zurückzulächeln.
    »Ah, meine unzuverlässige Mademoiselle Caro! Was für köstliche Qualen Sie mir bereitet haben«, begrüßte er sie.
    »Ich bitte Sie, Monsieur Antoine. Sie wissen gar nicht, was echte Qualen sind. Laufen Sie nur einmal in solchen Schuhen«, dabei zeigte sie auf ihre eleganten Pumps, »durch Schneematsch einem ungeduldigen Mann hinterher.«
    »Ich hätte Sie gar nicht für den Typ Frau gehalten, der einem Mann hinterherläuft.«
    »Sie sind ja der reinste Wortverdreher. Sie müssen in der Politik sein. Oder ein Anwalt?«
    »Kommen Sie, meine Liebe, nehmen Sie erst einmal Platz. Was trinken Sie?«
    »Anwalt, ganz klar. Ausweichende Antworten auf klare Fragen.«
    Antoine lachte leise in sich hinein. Ana Carolina setzte sich auf den Hocker neben seinem und rief mit einem Winken den Barmann herbei. »Einen trockenen Martini Cocktail, bitte.«
    »Wie grausam Sie sind. Sie gönnen mir nicht einmal das Vergnügen, Ihnen den Drink zu bestellen. Ist es das, was die Frauen von heute unter Gleichberechtigung verstehen?«
    »Ja, unter anderem.«
    »Lassen Sie mich Ihnen den Cocktail wenigstens spendieren?«
    »Selbstverständlich. Die Emanzipation hat ihre Grenzen. Sie dürfen mir übrigens auch gern aus dem Mantel helfen.«
    »Wie unaufmerksam von mir!« Antoine zwinkerte ihr zu, erhob sich, nahm ihr den Mantel ab und brachte diesen zu einem Garderobenständer. Ana Carolina war hingerissen. Wie gut er aussah! Wie herrlich er sich bewegte! Ach, und wie sie dieses harmlose Geplänkel liebte!
    Als er zurückkam, stand bereits ihr Drink vor ihr. Er nahm sein halbvolles Weinglas, erhob es und sagte in aufgesetzt feierlichem Ton: »Auf die modernen Frauen!«
    Ana Carolina nickte und stieß mit ihm an. Sie hatte sich eigentlich nie für besonders emanzipiert gehalten. Dass sie ihr Getränk selber bestellt hatte, war eher aus Verlegenheit geschehen. Andererseits: War sie nicht allein ausgegangen, um sich mit einem Fremden zu treffen? Wenn das nicht modern war!
    »Sie müssen mir alles von sich erzählen«, forderte er sie auf.
    »Alles?«
    »Nun, beginnen wir damit: Woher kommen Sie? Ihr Akzent ist einfach zu charmant.«
    Sie sei aus Südamerika, berichtete Ana Carolina, genauer, aus Argentinien. Sie sei in Paris ihres Literaturstudiums wegen, flunkerte sie weiter, und für die Dauer ihres Aufenthaltes teile sie sich ein Appartement mit einer Kommilitonin. Sie sei kurz vor dem Examen und gerade dabei, ihre Magisterarbeit über Molière zu verfassen. Je mehr sie redete, desto leichter fielen ihr die Lügen. Es machte ihr Spaß, diesem Mann eine
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